Der «Blick» hat die Intimsphäre von Jolanda Spiess-Hegglin mit seiner Berichterstattung 2014 «in schwerwiegender Weise verletzt» – das stellt das Zuger Obergericht in seinem Urteil vom letzten Freitag fest. Damit bestätigt das Gericht den Entscheid der Vorinstanz von 2019 zugunsten von Jolanda Spiess-Hegglin.
Die Klägerin ging gegen einen Artikel im «Blick» vor, der an Weihnachten 2014 erschien und über eine «Schändung» mutmasste (Titel: «Hat er sie geschändet?»). Das Obergericht hält fest:
«Dass die Berichterstattung im ‹Blick› über eine mutmassliche Schändung der Klägerin mit Nennung ihres Namens und der Publikation eines Fotos massiv in die Persönlichkeit der Klägerin eingegriffen hat, liegt auf der Hand.»
Die schwerwiegende Persönlichkeitsverletzung treffe für alle denkbaren Varianten zu:
«Selbst wenn nämlich die Strafanzeige von der Klägerin stammte, hat sie sich damit nicht ‹ihres Intimsphärenschutzes begeben›. Träfe diese Argumentation der Beklagten zu, würden wohl noch mehr Opfer eines Sexualdeliktes davon abgehalten, eine Strafanzeige zu erstatten (…).»
Der «Blick», respektive die Ringier AG argumentiert mit einem öffentlichen Interesse an einem mutmasslichen Delikt, da es sich um zwei gewählte Politiker*innen handelt. Von diesem Argument hält das Obergericht wenig, denn es macht klar, dass auch Politiker*innen einen Anspruch auf Schutz ihrer Privatsphäre haben.
Allein der Umstand, dass die Klägerin Parteipräsidentin und Kantonsrätin war, genüge eben nicht für ein öffentliches Interesse an einem mutmasslichen Delikt:
«Dass die Klägerin am 24. Dezember 2014 als mutmassliches Opfer einer Schändung erschien, stellt weder ihre moralische Eignung in Frage, noch ist irgendein gewichtiger Zusammenhang zwischen dem möglichen, an ihr begangenen Sexualdelikt und ihren politischen und behördlichen Funktionen erkennbar, für die im Rahmen der demokratischen Kontrolle ein erhöhtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestehen würde.»
Mit anderen Worten: Der «Blick» erfüllte mit dem fraglichen Artikel sicher keine Wächterfunktion, wie die Ringier AG nachträglich zu argumentieren versucht. Der «Blick» folgte mit der Berichterstattung schlicht niederen Instinkten und animierte das Kopfkino seiner Leser*innen.
In einem weiteren Punkt ist der Gerichtsentscheid sehr klar: Die Tatsache, dass Jolanda Spiess-Hegglin nach der verletzenden Berichterstattung öffentlich dagegen vorging, rechtfertigt in keiner Weise die anfängliche Berichterstattung, die sie erst in diesem Ausmass bekannt gemacht hatte:
«Dass sich die Klägerin anschliessend gegen diese identifizierende Berichterstattung ebenfalls öffentlich zur Wehr setzte, kann ihr unter den gegebenen Umständen grundsätzlich weder vorgeworfen werden, noch kann die Beklagte daraus etwas zu ihren Gunsten ableiten.»
Auch dass die Namensnennung und Identifizierung aus Mediensicht richtig war – nach dem ersten «Blick»-Artikel brachen die Dämme und alle Medien nannten fortan den Namen von Jolanda Spiess-Hegglin und zeigten ihr Bild –, sei eine «blosse Behauptung ohne rechtliche Relevanz»
Alles in allem ist das Urteil in seiner Klarheit nicht zu überbieten. Der «Blick» habe zum Zeitpunkt der Publikation keine wesentlichen Fakten gehabt und sich reinen Spekulationen hingegeben. Das Verschulden des «Blick» sei «als erheblich zu betrachten».
Dennoch verfügt das Gericht eine tiefere Genugtuung (10’000 Fr.) als das Kantonsgericht in seinem vorinstanzlichen Urteil (20’000 Fr.). Das vor allem, weil das Obergericht die Tragweite eines einzelnen Artikels – in dieser Klage ging es nur um den Ursprungsartikel, der alles ins Rollen brachte – weniger gross einschätzt. Der «Medienhype», der entstand, könne «nicht allein auf diesen Bericht zurückgeführt werden, was bei der Bemessung der Genugtuung ebenfalls zu berücksichtigen ist».
Eine Entschuldigung auf der Frontseite, wie von Jolanda Spiess-Hegglin gefordert, sprach das Gericht nicht. Eine Entschuldigung habe freiwillig und ernst gemeint zu erfolgen.
Nun liegt der Ball bei den Parteien, die in den nächsten Wochen entscheiden, ob sie das Urteil ans Bundesgericht weiterziehen werden.
(Nachtrag: Marc Walder, CEO der Ringier AG, entschuldigte sich nach dem Urteil in einem Artikel öffentlich bei Jolanda Spiess-Hegglin)
(jes)