Wie berichten Medien über Menschen, die als «Problem» wahrgenommen werden? Ein aktuelles Beispiel aus der «bz Basel» gibt Aufschluss:
Die Zeitung berichtet prominent über Anwohnende, die sich über obdachlose Menschen fremder Herkunft ärgern. Auf der Front wird der Konflikt relativ sachlich beschrieben: «Personengruppe sorgt im Wettsteinquartier für Ärger».
Weiter hinten im Regionalteil wird die Rhetorik der Anwohnenden dann unreflektiert im Titel übernommen: «Durchreisende verunsichern das Quartier»
Der Begriff «Durchreisende», der offenbar vom Sprecher des Justiz- und Sicherheitsdepartement Basel (JSD) stammt, ist dabei neu. Er wird normalerweise im Zusammenhang mit Verkehr oder Tourismus benutzt. Im Zusammenhang mit “Fahrenden” kann er als Euphemismus gesehen werden. Nun gut. Der Begriff macht klar, es ist jemand da, der bald wieder abreist – was das JSD offenbar weiss.
Der erste Satz des Artikels macht die Tendenz des ganzen Texts ebenso klar: “Ja, mich stört es, ich finde es befremdlich”, lässt sich eine Anwohnerin anonym zitieren. Es gibt niemanden, der im Artikel für die betroffenen Menschen einsteht. Alle Quotes sind dezidiert kritisch bis hin zu diskriminierend gegenüber den «Fremden».
Und hier ist das journalistisch-ethische Problem des Artikels: Laut «Pflichten der Journalistinnen und Journalisten» müssen Betroffene bei schweren Vorwürfen angehört werden. Der Presserat erklärt in einer Stellungnahme vom März 1996:
«Das Prinzip journalistischer Fairness verlangt generell, den durch einen Medienbeitrag in schwerwiegender Weise Betroffenen Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben, was jedoch kein Recht auf umfassende Selbstdarstellung bedeutet.»
Was hier auf die Personen der «Durchreisenden» sicherlich zutrifft, unterlässt die bz aber offensichtlich. Warum? Der Chefredaktor der bz, Patrick Marcolli, erklärt auf Anfrage von Fairmedia:
«Selbstverständlich hat es von unserer Seite direkte Versuche zur Kontaktnahme und einer entsprechenden Möglichkeit zum Interview gegeben. Diese sind jedoch entweder an Sprachbarrieren oder hauptsächlich am sehr deutlich manifestierten Unwillen der erwähnten Personen gescheitert.»
Das Statement ist leicht widersprüchlich, wenn man sich die konkrete Situation der Anfrage vor Augen führt. Journalistin x fragt den Betroffenen y, ob er etwas zu den fraglichen Vorwürfen sagen kann. Solange dieser nicht versteht, worum es eigentlich geht, kann er zu dieser Frage auch nicht seinen Unwillen manifestieren.
Die Journalistinnen hätten also zumindest den Versuch unternehmen können, einen Übersetzer beizuziehen (klar, Corona und Sparmassnahmen bedingen immer weniger Zeit und Kapazitäten im Lokaljournalismus, aber wenn man sich das Ergebnis dieses Artikels anschaut, wären mehr Kapazitäten sicherlich notwendig gewesen).
Aber gut. Nehmen wir an, die Betroffene wollten gar nichts sagen. Entbindet das die Journalistinnen von der Anhörungspflicht? Vielleicht, aber nicht vom Gebot der Fairness. Wollen oder können Betroffene nicht Stellung nehmen, so liegt es in der Hand der Medienschaffenden, Fairness herzustellen und zumindest einen Stellvertreter zu zitieren, der die Vorwürfe aus der Sicht der Betroffenen kommentiert.
Im RTVG gibt es das «Sachgerechtigkeitsgebot», das eine ausgewogene Berichterstattung verlangt. Bei den Printmedien ist dies das Gebot der Fairness, das z.B. aus der Anhörungsplicht hervorgeht.
Die Argumentation der bz hält also nicht wirklich stand. Wohl eher war der Aufwand, die Betroffenen in sachgerechter Art mit den Vorwürfen zu konfrontieren, zu gross.
Was dadurch übrig bleibt, ist ein tendenziöser Bericht, der fast ausschliesslich den Vorwürfen und Ängsten der Quartierbevölkerung Raum gibt. Der Titel «Durchreisende verunsichern das Quartier» zeigt das exemplarisch. Das Wort «verunsichern» impliziert: Von den betroffenen Menschen muss eine kriminelle Energie ausgehen, sonst würden sie nicht das ganze Quartier «verunsichern». Wenn da «verärgern» stehen würde, wäre klar, dass sich einige (oder auch viele) Quartierbewohner über jemanden ärgern. Aber es steht eben «verunsichern».
Im Subtext wird klar: Vor diesen Menschen muss man sich in Acht nehmen, das sind keine friedlichen Obdachlose, sondern ausländische, kriminelle Bettler – ganz nach dem Muster, wie sie bereits vor zwei Wochen in der Basler Politik thematisiert wurden.
(jes)