Nach dem schockierenden Angriff auf eine jüdische Person in Zürich, beherrscht das Thema Antisemitismus den Diskurs in den Medien und auch in der Politik. Dabei wird häufig hervorgehoben, dass es eine besondere Form von Antisemitismus gebe: einen muslimisch geprägten Antisemitismus.
Für die Antisemitismusforscherin Christina Späti von der Universität Freiburg ergibt diese Zuschreibung keinen Sinn. Antisemitismus könne in verschiedenen Milieus auftauchen, es werde dabei häufig auf den politischen Gegner gezeigt, der antisemitisch sei, sagte sie kürzlich in einem Interview mit der WOZ.
Eine Form von Antisemitismus zeigt sich zum Beispiel auch in Schweizer Alternativmedien, welche Fairmedia in einem regelmässigen Monitoring überwacht. So erschienen kurz vor dem Angriff in Zürich beispielsweise problematische Inhalte zum Tod von Jacob Rothschild, einem bekannten Bankier, der am 26. Februar verstarb.
Zum Beispiel «Bittel TV», eines der grössten Schweiz Alternativmedien mit annähernd 100’000 Followern auf Telegram, reproduzierte das Narrativ, dass die Rothschilds alle Banken der Welt beherrschen würden und Kriege «auf beiden Seiten» finanzierten und verweist dabei auf ein Video von «Kla TV», einem anderen Alternativmedium mit beträchtlichem Einfluss, das von dem Schweizer Laienprediger Ivo Sasek betrieben wird.
«Um sich des Antisemitismus-Vorwurfs zu verwehren, wird gerne mit Codes operiert. Einer davon ist, anstatt von ‹den Juden› zu sprechen, ‹die Rothschilds› zu sagen.»
Cyril Lilienfeld vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund
In dem Video wird behauptet, dass die Rothschilds quasi alle Zentralbanken der Welt kontrollieren würden und «hinter allen Kriegen seit Napoleon stehen» würden. Keine der Aussagen des Videos kann glaubhaft belegt werden.
Um dem Vorwurf des Antisemitismus zu entgehen, wird in dem Video explizit behauptet, dass es sich bei dem Rothschild-Narrativ nicht um eine jüdische Verschwörung handle. Es ist jedoch klar, dass diese auf einer Erzählung basiert, die klar aus dem antisemitischen Umfeld kommt.
Cyril Lilienfeld vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) erklärt: «Um sich des Antisemitismus-Vorwurfs zu verwehren, wird gerne mit Codes operiert. Einer davon ist, anstatt von ‹den Juden› zu sprechen, ‹die Rothschilds› zu sagen.» Wenn also davon gesprochen werde, dass «die Rothschilds» alle Zentralbanken der Welt und alle Medien besitzen würden oder beide Seiten aller Kriege seit Napoleon finanziert hätten, würden hier klassische antisemitische Narrative verwendet.
Wie bei vielen Verschwörungsmythen üblich bezieht sich auch das Rothschild-Narrativ auf eine reale Grundlagen. Die Rothschilds waren eine real existierende Bankiersfamilie, die im 19. Jahrhundert durch den Kauf von Staatsanleihen an Einfluss gewann.
Heute kann von den «Rothschilds» als geschlossener Familienverbund jedoch keine Rede mehr sein, da es diesen so gar nicht mehr gibt. Der Mythos «Rothschild» bleibt jedoch bestehen und stellt durch die Überspitzung der eigentlichen Machtverhältnisse ein klar antisemitisches Narrativ dar.
Der latente Antisemitismus wird in den Telegram-Kanälen der entsprechenden Medien deutlich, wenn sich User beispielsweise «Shlomo@Surensohn» nennen und problematische Inhalte kommentieren.
«Man unterscheidet zwischen ‹guten› und ‹schlechten Juden›, wobei Letztere keine richtigen Juden seien und man darum nicht antisemitisch sei, wenn man gegen diese vorgehe.»
Cyril Lilienfeld, SIG
In einem anderen Beitrag, publiziert von «Uncut News» wird behauptetet, die Rothschilds seien keine echten Juden, sondern Nachfahren der Chasaren. Diese seien keine «Kinder Gottes», sondern Menschen, «die dem Satan angehören».
Auch dieses Narrativ sei «als antisemitisch zu werten», sagt Lilienfeld vom SIG. Die Chasaren waren ein Volk, das im siebten Jahrhundert in Osteuropa lebte und zum Judentum konvertierte. Die Verschwörungstheorie zu den Chasaren ziele darauf ab, sich des Antisemitismus-Vorwurfs zu verwehren. «Man unterscheidet zwischen ‹guten› und ‹schlechten Juden›, wobei Letztere keine richtigen Juden seien und man darum nicht antisemitisch sei, wenn man gegen diese vorgehe.»
Über die Chasaren wird auch behauptet, dass sie den Teufel anbeten und kleine Kinder opfern würden. Dies deckt sich mit aktuellen verbreiteten Verschwörungstheorien, bei denen einer Elite unterstellt wird, sie würde Pädophilie und Satanismus betreiben. Lilienfeld sagt dazu: «Der Chasaren-Begriff ist das neue Codewort für Jüdinnen und Juden.»
Auch der Beitrag von «Uncut News» versucht sich vom Antisemitismus zu distanzieren.
Ob es einen direkten oder indirekten Zusammenhang zwischen solchen Verschwörungstheorien und Angriffen gegen jüdische Personen gebe, lässt Lilienfeld im konkreten Fall vom vergangenen Samstag offen.
Grundstzlich hält er antisemitische Verschwörungsnarrative für «gefährlich». Immer wieder hätten sich Attentäter auf solche Theorien bezogen. «Ihnen entgegenzuwirken ist aber sehr schwierig, da ein Grossteil der Personen, die an solche Theorien glauben, keine Fakten und stichhaltigen Argumente akzeptieren und nur an ihre eigene ‹Wahrheit› glauben.»
(Publiziert am 8.3.2024, Tobias König und Jeremias Schulthess)