«Inside Paradeplatz» ist ein Blog, der regelmässig für Enthüllungen in der Finanzwelt sorgt. Genauso regelmässig erreichen die Plattform und deren Betreiber auch Klagen gegen dessen Berichterstattung. Aktuell geht die Credit Suisse mit einer 265 Seiten langen Klage gegen «Inside Paradeplatz» vor. Dabei geht es um eine Reihe von Artikeln aus dem letzten Jahr, die mutmasslich gegen die Persönlichkeitsrechte der Bank-Mitarbeitenden verstiessen. Gerade auch Leserkommentare sind laut «Inside Paradeplatz» Inhalt der Klage. Darin hätten die anonymen Schreibenden «ihre unverblümte Verachtung zum Spass oder aus Frust auf dem Blog absondern können», wie in der Klage steht. Der Medienanwalt Manuel Bertschi von der Kanzlei Zulauf Partner ordnet die CS-Klage in einem Interview mit SRF ein:
SRF: Was halten Sie von der Klage der CS?
Manuel Bertschi: Ich muss vorausschicken, dass mir die Klage nicht vorliegt und deshalb wäre es unseriös, eine materielle Einschätzung abzugeben. Aber ich habe die Berichterstattung zur Klage verfolgt und schliesse daraus, dass die CS offensichtlich einen Entscheid getroffen hat, seine Reputation zu stärken, sich für seine Mitarbeitenden einzusetzen und letztendlich das Vertrauen zurück zu gewinnen, welches mitunter durch die fragliche Berichterstattung verloren ging.
Die CS argumentiert, die Führungsequipe sei der Lächerlichkeit preisgegeben, mit Beleidigungen überzogen und blossgestellt worden, sowohl in den Artikeln als auch in den Kommentaren. Wann wird die Medienfreiheit überspannt?
Ich kann diese Frage nur allgemein beantworten. Nicht jede Klage gegen ein Medienunternehmen bedeutet sofort einen Angriff auf die Medienfreiheit. Die Medienfreiheit ist ein hohes und schützenswertes Gut – aber sie gilt nicht absolut. Medienfreiheit ist zwar ein Grundrecht, aber dieses Grundrecht ist einschränkbar, und zwar immer dann, wenn auch entgegenstehende Interessen bestehen und diese überwiegen. Im Fall der CS ist das offenbar Thema. Auf der einen Seite steht die Medienfreiheit, aber auf der anderen Seite besteht der Anspruch auf Persönlichkeitsschutz, auch auf die Achtung des Lauterkeitsrechts. Konkret: Wenn zum Beispiel mediale Inhalte unrichtig sind, unnötig herablassend oder irreführend, dann ist die Medienfreiheit überspannt. Und zwar dann, sofern diese medialen Äusserungen ein gewisses Gewicht annehmen, das nicht mehr zu ertragen ist.
Die Grossbank fordert neben der Löschung der beanstandeten Passagen auch die Herausgabe des Gewinns, den Inside Paradeplatz mit den Berichten erzielt hat. Wann hat eine solche Klage Chancen?
Die Gewinnherausgabe und der Anspruch daraus ist ein gesetzlicher Anspruch. Aber es ist ein komplexer Anspruch, weil erstens muss man einen Gewinn berechnen können, obschon man die Unterlagen nicht hat. Und zum Zweiten muss man dann aufgrund dieser Unterlagen einen Gewinn berechnen, obschon man gar nicht weiss, wie sich dieser Gewinn zusammensetzen wird. Es ist also eine komplexe Angelegenheit und deshalb wird der Anspruch auch nur selten angewandt. Aus meiner Sicht scheint es immer dann sinnvoll, diesen Anspruch geltend zu machen, wenn ein krasser Verstoss zum Beispiel gegen den Persönlichkeitsschutz vorliegt oder wenn das Ausmass der Artikel so unerträglich ist, dass man sich dagegen wehren muss. Mir scheint die Konstellation, in der sich die CS befindet, richtig, um diesen Anspruch ins Feld zu führen, weil es offenbar sehr viele Artikel und Kommentare gibt, die zu beanstanden sind.
Es kommt immer wieder vor, dass Medien oder NGOs mit Klagen eingedeckt werden. Beobachten Sie eine Zunahme solcher Klagen?
Sie sprechen die sogenannte SLAPP-Thematik an. Aus meiner Sicht hat der CS-Fall mit dieser Thematik nichts zu tun. Denn sogenannte Slapp-Klagen müssen missbräuchlich, also ungerechtfertigt sein. Diese zeichnen sich auch dadurch aus, dass geringe Erfolgschancen bestehen und exzessive Forderungen gestellt werden. Das scheint bei der CS-Klage prima vista nicht der Fall zu sein. Grundsätzlich gibt es Stimmen, die sagen, dass missbräuchliche Klagen gegen Medienunternehmen oder gegen NGOs zunehmen. Ich kann diese Aussage nicht unterstützen, weil mir die Empirie fehlt. Aber ich sehe die Problematik, wenn Goliath gegen David klagt. Allerdings muss ich sagen, dass in einem medialen Kontext die Ausgangslage häufig andersherum ist. Nämlich wenn natürliche Personen gegen Medienunternehmen klagen – dann ist regelmässig die natürliche Person der David und das Medienunternehmen der Goliath.
Was ist eine SLAPP-Klage? SLAPP ist die Abkürzung für den Begriff «Strategic Lawsuits against Public Participation» (dt.: strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung). Damit werden rechtsmissbräuchliche Klagen bezeichnet, mit denen Kritiker:innen mundtot gemacht werden sollen.
— Dieses Interview wurde am 20. Dezember 2022 in der SRF-Sendung «Rendez-vous» publiziert.