Die «SonntagsZeitung» publiziert am 2. Mai das Porträt von einer Frau, die Verletzungen aufgrund von Corona-Tests erlitt. Die Frau habe Atemprobleme und Kopfschmerzen gehabt. Wegen den Verletzungen habe die Frau auch keine Maske mehr tragen können, wodurch sie häufig angefeindet worden sei.
Es ist ein kritischer Text über die Auswüchse der Corona-Pandemie – soweit so unproblematisch. Kritische Berichterstattung hat fast immer eine Berechtigung, sicherlich auch bei einem so schwerwiegenden Thema wie der aktuellen Pandemie. Fragwürdig ist bei diesem Text jedoch, wie die Autorin mit ihrer Quelle umgeht.
Die Aussagen der porträtierten Frau werden unkritisch übernommen. Die Frau sagt zum Beispiel, dass sie vor den Verletzungen voller Energie gewesen sei. Heute sei sie schnell ermüdet, müsse weitgehend auf Sport verzichten und könne sich wegen Atemnot nicht mehr in den Bergen aufhalten. Ein Arzt habe ihr bestätigt, dass sie ihre Nase operieren müsse.
Ist das medizinisch plausibel? Gibt es eine zweite Meinung dazu von anderen Ärzten? Darauf geht der Text nicht ein. Dabei gäbe es Gründe anzunehmen, dass nicht alles stimmt, was die Frau erzählt.
Denn die Porträtierte verbreitet auf ihrem privaten Facebook-Account mehr als problematische Inhalte. Zum Beispiel eine Verschwörungstheorie von QAnon-Anhänger:innen:
«Megafon Reitschule Bern» machte den Facebook-Post publik (Bild: Screenshot Facebook)
Der Hinweis auf Adrenochrom ist in diesem Kontext klar der QAnon-Verschwörung zuzuordnen, die davon ausgeht, dass westliche Eliten Kinder entführen, in unterirdischen Gefängnissen einsperren und aus dem Kinderblut das Stoffwechselprodukt Adrenochrom gewinnen. Adrenochrom soll einen Verjüngungseffekt haben.
Auch an anderen Stellen verweist die porträtierte Frau auf Verschwörungstheorien. Zum Beispiel in dem sie auf die Stichworte «Hotdog» und «Obama» aufmerksam macht:
Dahinter steckt die Verschwörungstheorie, dass Obama in Kinderhandel und -prostitution verwickelt war – die beiden Wörter gelten als Codenamen für Kinderhandel und -prostitution.
Auch weitere Facebook-Beiträge, die die porträtierte Frau verbreitet, sind verstörend. Sie reichen von problematischen Holocaust-Vergleichen über Jesus-Videos bis hin zu Bildern von gefesselten Kindern, die angeblich verschleppt wurden.
Diese Seite der Frau wird in der «SonntagsZeitung» komplett ausgeblendet. Hat die Redaktion diese Inhalte möglicherweise nicht gekannt? Nicole Bänninger, Tamedia-Mediensprecherin, sagt, die Inhalte auf dem persönlichen Social-Media-Profil seien bekannt gewesen, sie hätten aber «absolut nichts mit dem Artikel zu tun» – was wohl der Grund dafür war, dass es im Artikel nicht thematisiert wurde.
Weiter schreibt Bänninger: «Wir distanzieren uns von jeglichen Verschwörungstheorien, aber nicht von den im Artikel geäusserten Aussagen.» Diese seien durch mehrere Quellen belegt.
Darüber, dass die Glaubwürdigkeit des Artikels und der Medien im Allgemeinen leidet, wenn nicht transparent berichtet wird, schreibt Tamedia nichts.
Dabei wäre es in diesem Fall für die Leser:innen wichtig gewesen, die Hintergründe zu kennen, um die Aussagen der Frau besser einschätzen zu können – möglicherweise hätten manche Leser:innen die Aussagen in einem anderen Licht gesehen.
Dass eine QAnon-Sympathisantin über Verletzungen bei Corona-Tests spricht, mag für eine Redaktion vielleicht sogar vertretbar sein. Es kann ja sein, dass die Kritik in der Sache stimmt. Es sollte aber in jedem Fall möglichst transparent gemacht werden, wer die Quelle ist – die Verbreitung von Verschwörungstheorien gehört da dazu.
(Publiziert am 3.5.2021, Jeremias Schulthess)