Desinformation in der Deutschschweiz

#TelegramBriefing Juli ’23

«Hitzepanik» auf Telegram

Das Thema Hitze beschäftigte im Monat Juli hierzulande einige Menschen – unter anderem auch die Deutschschweizer Telegram-Community. Dies zeigt eine Datenauswertung von Fairmedia (genauere Angaben zu den Daten weiter unten).

Unter dem Stichwort «Hitzepanik» wurden diverse Inhalte verbreitet, welche nicht verifiziert werden können oder klare Falschaussagen beinhalten. So ist etwa von Bevormundung durch den Staat und künstlicher Hysterie die Rede .

Einige der unbelegten Behauptungen bezogen sich auf reale Umstände, zum Beispiel den Ratschlag der Schweizer Behörden, bei den hohen Temperaturen ausreichend zu trinken und sich wenn möglich nicht für längere Zeit der Hitze auszusetzen. Andere beinhalten alternative Erklärungen für die sehr hohen gemessenen Temperaturen, so seien in Grossbritannien Kampfjets neben einem Thermometer gelandet, auf dem neue Rekordtemperaturen gemessen wurden. Zudem würde die ESA gezielt Statistiken fälschen, um die Berichterstattung in den Medien zu beeinflussen. Der #Faktenfuchs des Bayrischen Rundfunkes zeigt in einem Faktencheck auf, mit welchen Strategien extreme Wetterereignisse kleingeredet werden und welche Gefahren ein solches Vorgehen mit sich bringt.

Fairmedia hat eine Datenauswertung der Telegram-Kanäle mit Schweiz-Bezug durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass im Monat Juli das Thema «Hitze» eines der meist diskutierten Themen war. Unter den Top 10 der meist gesehenen Beiträge beschäftigten sich gleich drei mit diesem Thema.

Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach hatte vor Kurzem angekündigt, Hitzeaktionspläne etablieren zu wollen. Auf sozialen Medien wurde daraufhin die Behauptung verbreitet, es gebe in Zukunft Lockdowns analog zu den Massnahmen während der Corona-Pandemie.

Wie die Auswertung von Fairmedia zeigt, beschäftigten diese unbelegten Aussagen beschäftigten unter anderem auch die Deutschschweizer Telegram-Community.

Post über Aussagen von Karl Lauterbach, erschienen am 14. Juli 2023 auf Telegram

Ein wiederkehrendes Narrativ ist, dass wie bereits während der Corona-Pandemie beim Thema Hitze falsche Todeszahlen verwendet würden, um die Bevölkerung zu manipulieren.

Der Kanal von Reiner Fuellmich, der auch viele Personen in der Deutschschweiz erreicht, greift dieses Narrativ auf. Er spricht von «Propagandamaschine» und «Copy COVID paste HITZE».

Es gibt indes keine wissenschaftlich belegten Anhaltspunkte, an den publizierten Zahlen zu zweifeln, beispielsweise denjenigen des Robert-Koch-Instituts in Deutschland.

Post über Hitzetote, erschienen am 17. Juli 2023 auf Telegram

Die Kontroverse um Karl Lauterbach zeigt, wie thematisch eng verknüpft die deutschsprachige Telegram-Community ist. Der Schweizer Kanal «Mahnwache Langnau» postete am 8. Juli einen Beitrag über die angeblich «epochale Hitzepanik». Darin enthalten ist erneut die unbelegte Behauptung, Karl Lauterbach wolle «Hitze-Lockdowns» implementieren.

Der Deutschschweizer Kanal hat ungefähr 500 Abonnent:innen, der Beitrag über «Hitze-Lockdowns» wurde jedoch 75’000 Mal gesehen – er wurde also in vielen anderen Kanälen mit grosser Reichweite geteilt.

Es lässt sich keine Aussage darüber treffen, wie viele Nutzer:innen aus Deutschland oder der Schweiz den Beitrag sahen. Das Beispiel deutet jedoch an, dass Schweizer Akteure bei der Verbreitung von Fehlinformation auf Telegram eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen.

Post über Hitzepanik in Deutschland, erschienen am 8. Juli 2023 auf Telegram

In diesem Beitrag geht es erneut um «hitzebedingte Todesfälle».

Es gibt keine wissenschaftlichen Untersuchungen, welche die öffentlich kommunizierte Zahl der Hitzetoten infrage stellen würden.

Dennoch impliziert dieser Account, dass die Zahlen des Robert-Koch-Instituts falsch seien. Karl Lauterbach schwenke nun «auf sein neues Panikthema um».

Post über Hitze-Lockdowns, erschienen am 7. Juli 2023 auf Telegram

Insbesondere die Ankündigung des deutschen Bundesministers Karl Lauterbach zu möglichen Hitzeschutzplänen brachte die Telegram-Community zum Kochen. In manchen Telegram-Chats und auf Alternativmedien wird gar ein Zusammenhang zum Corona-Virus hergestellt. So würden die von den Medien erwähnten «Hitzetoten» lediglich vorgeschoben, um die angebliche Übersterblichkeit infolge der Corona-Impfungen zu vertuschen. Zudem werde «Hitzepanik» geschürt, um Lockdown-Massnahmen verhängen zu können, mit Hilfe deren die Bevölkerung gefügig gemacht werde.

Auch die «Weltwoche» übernimmt dieses Narrativ im gleichen Zeitraum, als es auf Telegram viral ging, wobei nicht klar wird, auf welche Quelle sich die «Weltwoche» in ihrer Berichterstattung stützt.

Correctiv hat bereits im Juni in einem Faktencheck dargelegt, dass die Hitzeschutzpläne der Deutschen Regierung keine Lockdows vorsehen. Diese Information scheint die Nutzer:innen auf Telegram jedoch nicht erreicht zu haben.

Interessant an den Narrativen zum Thema Hitzepanik, die auf Telegram-Kanälen kursieren, sind insbesondere zwei Dinge:

  • Wie bei vielen anderen Themen wird auch beim Thema Hitze ein Zusammenhang zur Corona-Pandemie hergestellt. Die Zahl der Todesfälle stimme nicht – wie schon während der Corona-Pandemie behauptet wurde. Und es würden stark freiheitseinschränkende Massnahmen verhängt, sogenannte Lockdowns, die das Ziel hätten, die Bevölkerung zu bevormunden und gefügig zu machen.
  • Zum Thema Klimawandel kursiert auf Telegram und anderen sozialen Medien eine grosse Menge unterschiedlicher Fehlinformationen. Man könnte zwar annehmen, dass Personen, die den menschengemachten Klimawandel leugnen, dieses Thema meiden, sobald die Temperaturen übermässig steigen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Stattdessen werden immer neue unbelegte Aussagen verbreitet, wonach die Daten zur Temperaturmessung beispielsweise falsch seien. Ganz im Sinne: Es ist zwar heiss, aber bestimmte Kreise würden die Messungen fälschen, um eine bestimmte Agenda voranzutreiben.

 

Monatsstatistik Juli ’23

Meistgesehene Nachrichten

Diejenigen 3 Nachrichten, welche im beobachteten Zeitraum am öftesten angesehen wurden

Meistgeteilte Nachrichten

Diejenigen 3 Nachrichten, welche im beobachteten Zeitraum auf den Telegram-Kanälen am öftesten weitergeleitet wurden.

Viralste Nachrichten

Diejenigen 3 Nachrichten, welche im beobachteten Zeitraum im Verhältnis zur Anzahl Mitglieder am öftesten angesehen wurden. Sie haben also über den Kanal hinaus überraschend grosse Aufmerksamkeit erhalten.

Nachrichten mit den meisten Reaktionen

Diejenigen 3 Nachrichten, welche im beobachteten Zeitraum die grösste Anzahl Reaktionen erhielten. Nachrichten aus Kanälen, in denen die Möglichkeit zu Reaktionen deaktiviert wurde, sind hier nicht enthalten.

Kanalentwicklung

+73.44%

tankstellabeiz

418

+46.91%

derwahrheitsversteher

119

+12.32%

h2podcast

164

+4.19%

GeoengineeringSchweiz

2'339

+3.37%

WAHRHEIT_S_F_B

5'129

Diejenigen 5 Kanäle, welche im beobachteten Zeitraum den grössten Zuwachs an Mitgliedern verzeichnet haben. Berücksichtigt wurden nur Kanäle mit mindestens 100 Mitgliedern.

Meistgeteilte Links

Diejenigen 3 Links, welche im beobachteten Zeitraum am öftesten geteilt wurden. Links zu anderen Telegram-Kanälen oder zu Profilen der beobachteten Kanäle auf sozialen Medien sowie reguläre Spendenaufrufe sind nicht enthalten.

Was wir untersuchen

Fairmedia hat Daten aus Telegram-Kanälen mit Schweiz-Bezug ausgewertet. Die Daten-Auswertung erfolgte vor dem Hintergrund, dass Telegram als Plattform für die Lektüre und den Austausch von Fehlinformationen eine zentrale Rolle spielt.

Solche Informationen werden unter anderem in öffentlichen Kanälen verbreitet, in die man als Abonnent:in ohne Einschränkungen beitreten und Beiträge mitlesen kann.

Gemäss einer Mediennutzungs-Analyse (2021) nutzen ca. 600’000 Personen Telegram in der Deutschschweiz mindestens gelegentlich als Messengerdienst. Laut einer Schätzung von SRF sind es zwischen 50’000 und 70’000 Nutzer:innen, die sich auf Telegram in «toxischen» Kanälen und Chat-Gruppen austauschen oder zumindest mitlesen – also ungefähr jede zehnte Person aus der Deutschschweiz hat Telegram auf dem Handy installiert und kommt dort möglicherweise mit Fehlinformationen in Berührung.

Wiederum einen Teil dieser Kanäle hat Fairmedia untersucht, genau 121 öffentliche Telegram-Kanäle. Darin wurden in einem Monat (Juli 2023) 16’717 Beiträge publiziert, welche 960’361 Nutzer-Reaktionen und 78’552’619 Ansichten (Views) aufwiesen.

Wir analysieren in regelmässigen Abständen, welche Beiträge am meisten Personen erreichen, am meisten geteilt werden und am meisten Reaktionen erzeugen (Darstellung oben). Zudem schauen wir, welche Kanäle am meisten Zuwachs erhalten.

Damit bieten wir einen Überblick über die Entwicklung potenzieller Fehlinformationen auf Telegram.

Ausgangspunkt bildete eine Liste von ungefähr 20 einschlägigen Kanälen, deren Betreiber dafür bekannt sind, falsche oder zumindest zweifelhafte Informationen zu verbreiten. Anschliessend wurde die Liste mittels sogenanntem «Snowballing»-Verfahren ergänzt. Wir schauen also, welche anderen Kanäle in den von uns beobachteten Kanälen regelmässig erwähnt oder geteilt werden. Danach prüfen wir stichprobenartig die Qualität der darin veröffentlichten Informationen und untersuchen, ob der Kanal einen relevanten Bezug zur Schweiz vorweist. Schliesslich entscheiden wir über eine Aufnahme in die Liste mit beobachteten Kanälen und erweitern diese somit laufend.

121 Kanäle

16’717 Nachrichten

960’361 Reaktionen

78’552’619 Ansichten

(Publiziert am 8.8.2023, Tobias Mader und Jeremias Schulthess)

FairmediaWATCH wird unterstützt durch