Desinformation in der Deutschschweiz

#TelegramBriefing August ’23

«Krankheit X» und «Pandemie-Pakt»: Wie die WHO als Feindbild überdauert

Im August hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Zusammenhang mit einer ominösen «Krankheit X» in Deutschschweizer Telegram-Kanälen für viel Aufsehen gesorgt. Dies zeigt eine aktuelle Datenauswertung von Fairmedia. Die WHO ist seit 2020 ein prominentes Thema auf Telegram. Sie ist Teil einer Verschwörungserzählung, bei der die internationale Organisation mit Sitz in Genf als Instrument einer globalen Machtelite dargestellt wird.

Ein Grund dafür, dass die WHO im August noch mehr zu reden gab als sonst, war eine Meldung aus England, wonach in einem geheimen Labor an Impfstoffen für eine «Krankheit X» geforscht würde. Tatsächlich gibt es entsprechende Artikel, die diese Behauptung zumindest ansatzweise stützen.

Die «Krankheit X» steht dabei für eine noch nicht bekannte Krankheit. Laut englischen Medienberichten geht es dabei darum, sich bestmöglich auf die Gefahren von potenziellen Krankheitserregern und die damit verbundene Impfstoffherstellung vorzubereiten.

In einem Faktencheck kommt die Nachrichtenagentur SDA jedoch zum Schluss, dass «nicht an einem konkreten Impfstoff, sondern an Methoden zur Prüfung der Impfstoffwirksamkeit, Impfstofftechnologien sowie an der Verbesserung von bestehenden Impfstoffen geforscht» werde. Zudem stünde die «Krankheit X» schon seit 2018 auf einer Liste der WHO mit «Krankheiten, welche das Potenzial haben, einen Notfall von internationaler Tragweite auszulösen».

In den Telegram-Kanälen, welche Fairmedia regelmässig überwacht, wird dies als «Massnahme zur Vorbereitung der kommenden Plandemie» gewertet. Zur «Krankheit X» würden bereits «irgendwelche Impfungen getestet», was eine unbelegte Tatsachenbehauptung darstellt.

 

Es wird die längst widerlegte These aufgestellt, die WHO würde die Souveränität der Nationalstaaten untergraben.

 

Ein weiterer Kritikpunkt an der WHO ist für viele Telegram-Nutzende der sogenannte «Pandemie-Pakt». Dabei wird die These aufgestellt, dieses Instrument würde die Souveränität der Nationalstaaten untergraben.

Dieses Argument wurde bereits 2022 in einem Faktencheck von «Correctiv» widerlegt: «Die nationalen Verfassungen […] haben Vorrang vor Entscheidungen der WHO.» Die WHO kann zwar «völkerrechtlich rechtsverbindliche Beschlüsse treffen. Aber die WHO verfügt über kein Instrument, mit dem sie Abkommen über dem Verfassungsrang der Mitgliedstaaten beschliessen könnte.» Zudem seien die Verhandlungen über die Vereinbarung noch nicht abgeschlossen, sondern werden erst im Jahr 2024 vollendet sein.

Nichtsdestotrotz wird das Narrativ der nationalen Unterdrückung durch die WHO immer weiter verbreitet. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch verfasste dazu den Artikel «Pandemie-Pakt gegen die Völker», der im August unter anderem in der «Weltwoche» erschien.

Dieser Artikel wurde am 22. August wiederum im Kanal einer Nationalratskandidatin von «Mass-Voll» geteilt mit den vielsagenden Worten: «Da können wir uns auf was gefasst machen». Obwohl der Kanal der Kandidatin nur über rund 100 Telegram Abonnent:innen verfügt, erreichte dieser Beitrag über tausend Personen – er wurde also fleissig in anderen Gruppen geteilt.

Auch in anderen Kanälen wurde im August erneut die Angst vor einer übermächtigen WHO beschrieben. Der Verschwörungstheoretiker Thorsten Schulte schrieb beispielsweise, der geplante Pandemievertrag würde es der WHO ermöglichen, verbindliche Bestimmungen zu erlassen. Dadurch kämen wir dem «Traum von Bill Gates von einer Weltregierung immer näher».

Der Schweizer Telegram-Kanal «Uncut News» nährt das gleiche Narrativ. In einem Post vom 11. August wird das Video einer Rede der Europa-Abgeordneten Christine Anderson der Fraktion «Identität und Demokratie» gezeigt. Darin bezeichnet sie die Pandemie als einen Test globaler Eliten. Die Eliten hätten demnach getestet, inwiefern mithilfe eines Notstandes totalitäre Kontrolle erlangt werden kann. Dieser Post wurde über 120‘000 Mal gesehen.

Auch der Generaldirektor der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, gerät in den Fokus der Telegram-Community. Ein Video mit dem Titel «Die Akte Tedros», veröffentlicht von «KlagemauerTV», behauptet, die «kriminelle Vergangenheit des amtierenden WHO-Generaldirektors» aufzudecken und ihn als «Terroristen und Schwerverbrecher» zu entlarven.

 

Der Kanal der «Weltwoche» verzeichnet rasant Zuwachs – mit teilweise bis zu 20 Posts pro Tag.

 

Tedros soll als Mitglied der ehemaligen Regierungspartei Äthiopiens, der TPLF, schwere Verbrechen begangen haben. «KlagemauerTV», wird von der Gruppe «Organische Christus Generation» um den Schweizer Prediger Ivo Sasek, betrieben und produziert laut eigenen Angaben in Studios in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Thorsten Schulte behauptet ebenfalls Tedros plane «seinen Aufstieg zum mächtigsten Mann der Welt». Hierbei ist anzumerken, dass es Anfang 2021 durchaus ernstzunehmende Anschuldigungen gegen Tedros gegeben hat. Soweit bekannt ist, hat dies jedoch bisher nicht zu einem Verfahren gegen den WHO-Chef geführt.

Unsere Auswertung bringt zudem folgende Erkenntnisse zutage:

  • Der Kanal der «Weltwoche» wies im August einen Zuwachs von neun Prozent auf und kommt auf 3161 Abonnent:innen. Das Deutschschweizer Medium ist erst seit April 2023 aktiv auf Telegram, postet regelmässig die eigenen Online-Artikel auf dem Kanal – teilweise bis zu 20 Posts pro Tag – und verzeichnet dadurch ein starkes Wachstum auf Telegram.
  • Narrative über die WHO verbreiten sich jeweils sehr stark über Telegram, relativ unabhängig von den Themen, die gerade in Massenmedien kursieren. Der Anstieg der Fallzahlen der neuen Covid-Varianten «Eris» und «BA.2.86» wurde in Deutschschweizer Telegram-Kanälen fast gar nicht kommentiert, während die Meldung eines «geheimen Labors» der WHO in englischsprachigen Medien für viele Reaktionen sorgte.
  • Die Diskussionen um die WHO bewegen sich zudem relativ frei innerhalb des deutschsprachigen Raums und überschreiten dabei auch nationale Grenzen. Der von der deutschen AfD Politikerin Beatrix von Storch geschriebene Artikel, der von einer Nationalratskandidatin der Schweiz aufgegriffen wurde, steht dafür als Beispiel. Auch die Rede der Europaabgeordneten wurde in schweizerischen Telegram Kanal «uncut_news» geteilt. Dies könnte daran liegen, dass die WHO als globale Organisation über Staatsgrenzen hinweg ein leicht verständliches und attraktives Feindbild darstellt.
  • Telegram-Meldungen verkünden gewisse Neuigkeiten als aktuell, obwohl der Sachverhalt bereits Jahre zurück datiert werden kann. So steht die «Krankheit X» beispielsweise seit Jahren auf der Liste der WHO, was einige Nutzer:innen nicht davon abhält, diesen Sachverhalt als vermeintliche Neuigkeit zu verkaufen. Ausserdem wurde verschiedentlich klargestellt, dass der «Pandemie-Pakt» die nationale Souveränität der Staaten nicht antasten würde. Trotzdem werden solche Themen immer wieder neu aufbereitet, wodurch die WHO als dauerhaftes Feindbild bestehen bleibt.

 

Was die Deutschschweizer Telegram-Community im August noch beschäftigte

Meistgesehene Nachrichten

Diejenigen 3 Nachrichten, welche im beobachteten Zeitraum am öftesten angesehen wurden

Meistgeteilte Nachrichten

Diejenigen 3 Nachrichten, welche im beobachteten Zeitraum auf den Telegram-Kanälen am öftesten weitergeleitet wurden.

Virale Nachrichten

Diejenigen 3 Nachrichten, welche im beobachteten Zeitraum im Verhältnis zur Anzahl Mitglieder am öftesten angesehen wurden. Sie haben also über den Kanal hinaus überraschend grosse Aufmerksamkeit erhalten.

Nachrichten mit den meisten Reaktionen

Diejenigen 3 Nachrichten, welche im beobachteten Zeitraum die grösste Anzahl Reaktionen erhielten. Nachrichten aus Kanälen, in denen die Möglichkeit zu Reaktionen deaktiviert wurde, sind hier nicht enthalten.

Kanalentwicklung

+35.36%

h2podcast

222

+35.29%

derwahrheitsversteher

161

+19.26%

MahnwacheLangnau

644

+12.21%

Hoehenfeuer

588

+9.42%

freedomfestival23

604

Diejenigen 5 Kanäle, welche im beobachteten Zeitraum den grössten Zuwachs an Mitgliedern verzeichnet haben. Berücksichtigt wurden nur Kanäle mit mindestens 100 Mitgliedern.

Meistgeteilte Links

Diejenigen 3 Links, welche im beobachteten Zeitraum am öftesten geteilt wurden. Links zu anderen Telegram-Kanälen oder zu Profilen der beobachteten Kanäle auf sozialen Medien sowie reguläre Spendenaufrufe sind nicht enthalten.

Was wir untersuchen

Es ist das Ziel von FairmediaWATCH, die Entwicklung potenzieller Fehlinformationen in der Deutschschweiz zu verfolgen. Da Telegram als Plattform für den Austausch von Fehlinformationen eine zentrale Rolle spielt, werten wir Daten aus Telegram-Kanälen mit Schweiz-Bezug aus. Telegram-Kanäle sind öffentlich und Telegram-Nutzer:innen können ihnen ohne Einschränkung beitreten.

Gemäss einer Mediennutzungs-Analyse (2021) nutzen ca. 600’000 Personen Telegram in der Deutschschweiz mindestens gelegentlich als Messengerdienst. Laut einer Schätzung von SRF tauschen sich davon zwischen 50’000 und 70’000 Nutzer:innen, auf Telegram in «toxischen» Kanälen und Chat-Gruppen aus oder lesen zumindest die Inhalte mit. Ungefähr jede zehnte Person aus der Deutschschweiz hat also Telegram auf dem Handy installiert und etwa jede hundertste nutz das Programm um «toxische» Inhalte zu teilen oder zu lesen.

FairmediaWATCH analysiert so viele Telegram-Kanäle wie möglich. Im August wurden 211 Kanäle untersucht, in denen insgesamt 25’205 Beiträge publiziert wurden, welche 1’137’987 Nutzer-Reaktionen und insgesamt 133’725’858 Ansichten (Views) aufwiesen.

Wir messen in regelmässigen Abständen, welche Beiträge am meisten Personen erreichen, am meisten geteilt werden und am meisten Reaktionen erzeugen (Darstellung oben). Zudem beobachten wir die Subscriber-Zahlen der einzelnen Kanäle und berichten darüber, welche Kanäle am stärksten wachsen.

Ursprünglich basierte unsere Untersuchung auf einer Liste von rund 20 Kanälen, die dafür bekannt sind, falsche oder zumindest fragwürdige Informationen zu verbreiten. Diese Liste wurde dann mittels eines „Snowballing“-Verfahrens erweitert. Dabei schauen wir, welche anderen Kanäle in den von uns beobachteten Kanälen regelmässig erwähnt oder geteilt werden. Anschliessend überprüfen wir stichprobenartig die Qualität der darin veröffentlichten Informationen und ob der Kanal einen relevanten Bezug zur Schweiz hat. Basierend auf diesen Erkenntnissen entscheiden wir über eine Aufnahme in unsere Beobachtungsliste und erweitern diese so fortlaufend.

211 Kanäle

25’205 Nachrichten

1’137’987 Reaktionen

133’725’858 Ansichten

(Publiziert am 12.9.2023, Tobias König und Jeremias Schulthess)

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