Desinformation in der Deutschschweiz

Von Epstein bis Corona: Das WEF als Katalysator für Verschwörungsmythen

Die Kritik am World Economic Forum (WEF) ist so alt wie die Veranstaltung selbst. Waren es in der Vergangenheit oft Linke und Autonome, die das Treffen der Weltelite kritisierte, so sind es seit einigen Jahren vor allem Verschwörungsmythen, die den Event umranken.

Nicht von ungefähr stuft das WEF in seinem aktuellen «Global Risk Report» Desinformation und Fehlinformation als kurzfristig grösste globale Gefahr für demokratische Gesellschaften ein.

Die verschiedenen Fake-Narrative, die über das WEF verbreitet werden, vereinen gängige Muster von Verschwörungsmythen. Zum Beispiel die pauschale Vorstellung, dass es eine «globale Elite» gibt, die im Hintergrund düstere Ziele verfolgt. Oder die Verzerrung von Fakten, indem bestimmte Sachverhalte verkürzt und sehr einseitig dargestellt werden.

Fairmedia wertet regelmässig Daten aus problematischen Telegram-Kanälen aus. Die Grafik weiter unten zeigt auf, wie die Erwähnungen des Begriffs WEF bereits im Vorfeld der Veranstaltung zugenommen haben und nun weiter am steigen sind.

In diesen Kanälen, die jeweils einen Bezug zur Schweiz aufweisen, wird beispielsweise behauptet, dass die globale Elite, die sich beim WEF vereint, das Ziel unterstütze, die Erde zu entvölkern. Belastbare Belege dafür werden keine genannt. Diese Theorie stützt sich – sofern sie sich überhaupt auf etwas stützt – auf aus dem Kontext gerissene Aussagen.

Eine weitere Theorie besagt, dass das WEF hinter der Corona-Pandemie steckt. Konkret sollen etwa Angela Merkel und Jens Spahn als «Handlanger» des WEF die damaligen Lockdowns durchgesetzt haben. Beiträge, die diese Theorie stützen werden immer wieder durch Faktenchecks widerlegt. Trotzdem hält sich dieses Narrativ hartnäckig.

Epstein als Teil der WEF-Verschwörungstheorie

Auch Jeffrey Epstein, ist in verschiedene Verschwörungstheorien verwickelt, die das WEF betreffen. Vor kurzem wurden anonymisierte Namen in Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal um den verstorbenen Multimillionär veröffentlicht, was in alternativen Medien für Gesprächsstoff sorgte. Aber auch vor der Veröffentlichung gab es bereits zahlreiche Mutmassungen im Zusammenhang mit Epstein.

So wird Epstein etwa als eine treibende Kraft hinter dem WEF dargestellt, der angeblich für den israelischen Geheimdienst gearbeitet hat. In dieser Rolle soll er einflussreiche US-Persönlichkeiten erpresst haben, um sie im Sinne Israels zu beeinflussen.  Andere sehen in der Veröffentlichung der Namen lediglich ein Manöver, um vor der angeblich fortschreitenden Totalüberwachung des WEF abzulenken. Zusätzlich gibt es Beiträge, die Verbindungen zwischen dem WEF, China, Bill Gates, der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Weltbank und ähnlichen Organisationen andeuten, ohne dabei konkrete Anschuldigungen oder Beweise vorzulegen.

 

Aufwind für Populist:innen

So abstrus und verworren die Theorien auch klingen mögen, so können sie doch reale Implikationen mit sich bringen. So schrieb etwa eine Europaabgeordnete der AfD in einer Nachricht, die sie zum neuen Jahr verfasst hat, dass man Freiheiten und Rechte gegen die «falsche Elite an supranationalen Gremien wie der WHO, der UN oder dem WEF» verteidigen müsse. «Marionettenhafte Regierungen» seien dabei die Handlanger dieser angeblich mächtigen Organisationen. Dies zeigt die Gefahr, die derartige Narrative für etablierte Demokratien, wie beispielsweise Deutschland, haben kann. Vor allem, in wirtschaftlich und politisch schweren Zeiten.

Auch die Schweizer Bewegung «Mass-Voll» scheint in eine ähnliche Richtung zu gehen, wobei der politische Einfluss dieser massnahmenkritischen Bewegung aus der Coronazeit gegenwärtig gering ist.

Während Verschwörungstheorien durchaus auch einen unmittelbaren Einfluss auf Wahlergebnisse haben können – man denke zum Beispiel an den aktuellen Wahlkampf von Donald Trump –, so geht eine weitere Gefahr davon aus, dass Verschwörungstheorien in einem eher schleichenden Prozess nach und nach Misstrauen säen und so längerfristig das Vertrauen in etablierte politische Institutionen unterwandern.

 

Merkmale von Verschwörungstheorien

Es ist damit zu rechnen, dass auch im Verlauf dieses WEFs die Verschwörungstheorien rund um die internationale Organisation zunehmen werden. Diese lassen sich erfahrungsgemäss an folgenden Merkmalen erkennen:

Undifferenziertheit: die sogenannten «globalen Eliten» werden als einheitliche Akteure dargestellt, die allesamt dasselbe Ziel verfolgen und nicht als komplexe Individuen, die ihre durchaus heterogenen wirtschaftlichen oder ideologischen Interessen verfolgen. Dasselbe wird mit internationalen Organisationen gemacht. So wird nicht berücksichtigt, dass zum Beispiel das WEF und die WHO fundamental unterschiedliche Organisationen sind, sondern sie werden beide in denselben Topf geworfen. Dadurch entsteht ein vereinfachtes Gut-gegen-Böse-Narrativ, das der Komplexität der Realität nicht gerecht wird.

Verzerrung: Begriffe die durchaus von internationalen Organisationen wie der WHO oder dem WEF verwendet werden, werden von der Verschwörungsszene aufgegriffen und verzerrt. So wird aus dem Netto-Null Ziel des WEFs, womit gemeint ist, dass gleich viel Treibhausgase, in die Atmosphäre emittiert werden, wie ihr auch wieder entzogen werden, plötzlich ein perfider Plan, Milliarden von Meschen zu töten. Ein anders Beispiel ist der Begriff «Great Reset», der von Klaus Schwab, dem Gründer des WEFs 2020 eingeführt wurde, gemeint ist damit eine Umstrukturierung der Gesellschaft im Sinne der nachhaltigeren Entwicklung nach dem wirtschaftlichen Schock, der die Coronapandemie ausgelöst hat. Verschwörungstheoretiker sehen dahinter aber den Versuch traditionelle Werte, wie die Familie zu zerstören und eine autoritäre Weltherrschaft herzustellen.

Was wir untersuchen

Fairmedia wertet Daten aus Telegram-Kanälen mit Schweiz-Bezug aus. Die Daten-Auswertung erfolgte vor dem Hintergrund, dass Telegram als Plattform für die Lektüre und den Austausch von Fehlinformationen eine zentrale Rolle spielt.

Solche Informationen werden unter anderem in öffentlichen Kanälen verbreitet, in die man als Abonnent:in ohne Einschränkungen beitreten und Beiträge mitlesen kann.

Gemäss einer Mediennutzungs-Analyse (2021) nutzen ca. 600’000 Personen Telegram in der Deutschschweiz mindestens gelegentlich als Messengerdienst. Laut einer Schätzung von SRF sind es zwischen 50’000 und 70’000 Nutzer:innen, die sich auf Telegram in «toxischen» Kanälen und Chat-Gruppen austauschen oder zumindest mitlesen – also ungefähr jede zehnte Person aus der Deutschschweiz hat Telegram auf dem Handy installiert und kommt dort möglicherweise mit Fehlinformationen in Berührung.

Wiederum einen Teil dieser Kanäle untersucht Fairmedia. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Beitrags werden 205 Kanäle beobachtet.

Ausgangspunkt bildete eine Liste von ungefähr 20 einschlägigen Kanälen, deren Betreiber dafür bekannt sind, falsche oder zumindest zweifelhafte Informationen zu verbreiten. Anschliessend wurde die Liste mittels sogenanntem «Snowballing»-Verfahren ergänzt. Wir schauen also, welche anderen Kanäle in den von uns beobachteten Kanälen regelmässig erwähnt oder geteilt werden. Danach prüfen wir stichprobenartig die Qualität der darin veröffentlichten Informationen und untersuchen, ob der Kanal einen relevanten Bezug zur Schweiz vorweist. Schliesslich entscheiden wir über eine Aufnahme in die Liste mit beobachteten Kanälen und erweitern diese somit laufend.

(Publiziert am 16.1.2024, Tobias König und Jeremias Schulthess)

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