Falschnachrichten stellen zunehmend eine Gefahr für unsere Demokratie dar. Eine Analyse von Fairmedia zeigt, welche «Fake News» in den letzten Jahren am meisten verbreitet wurden.
Auch in der Schweiz kursieren immer mehr Falschnachrichten. Diese haben häufig einen Bezug zum Thema «Corona», dem US-Präsidenten Donald Trump oder dem Ukraine-Krieg. Das zeigt eine Auswertung, die Fairmedia anhand von Daten des Messenger-Dienstes Telegram durchgeführt hat.
Bei der genaueren Analyse der Falschnachrichten offenbaren sich auffällige Muster: Die Beiträge weisen häufig eine inhaltliche Nähe zu russischen Propaganda-Narrativen auf und werden nicht selten von prominenten Einzelpersonen verbreitet.
Öffentliche Telegram-Kanäle werden oft als Verbreitungsplattformen für Falschinformationen verwendet. Fairmedia beobachtet seit drei Jahren Telegram-Kanäle mit Bezug zur Schweiz, die problematische Inhalte verbreiten.
Aus diesen Daten haben wir die drei Beiträge herausgefiltert, die seit 2022 am meisten angesehen wurden und Falschinformationen enthalten.
Ganser und der Maidan
Klar am meisten Ansichten hat das am 24. Januar 2023 von «Uncut News» verbreitete Video des umstrittenen Historikers Daniele Ganser, in dem er ein russisches Propaganda-Narrativ zum Ukraine-Krieg wiedergibt.
Der Beitrag wurde annähernd drei Millionen Mal angesehen. In welchem Land das Video am meisten angesehen wurde, lässt sich anhand der zur Verfügung stehenden Daten nicht aussagen.
«Uncut News» ist das grösste Alternativmedium im deutschsprachigen Raum und hat seinen Sitz in der Schweiz. Über die Urheber des Mediums ist wenig bekannt. Ein Impressum mit transparenten Informationen sucht man auf der Seite vergeblich.
Ganser, promovierter Historiker, der sich selbst als «Friedensforscher» bezeichnet, behauptet in dem Video, der Machtwechsel in der Ukraine 2014 sei ein von den USA gesteuerter Putsch von Rechtsextremen gewesen. Dabei handelt es sich um eine Sichtweise, die ein zentrales russisches Propaganda-Narrativ widerspiegelt.
Zwar war die damalige verfassungsrechtliche Grundlage für die Absetzung von Präsident Janukowytsch schwach, doch wurde sie von einer Zweidrittel-Mehrheit – auch aus seiner eigenen Partei – im Parlament unterstützt. Dies spricht gegen die These eines Putsches.
Als Beweis für die US-amerikanische Unterstützung beruft sich Ganser auf ein Telefonat zweier US-Diplomaten, das allerdings lediglich politische Präferenzen zeigt. Auch seine Aussagen zu rechtsextremen Gruppen am Maidan sind irreführend: Diese waren zwar präsent und lieferten sich Strassenschlachten mit der Polizei, stellten aber eine Minderheit dar.
Ganser vereinfacht komplexe Zusammenhänge und präsentiert Meinungen als Fakten. Dadurch wird ein einseitiges Narrativ verbreitet ohne ausreichende Belege. Eine kritische Einordnung seiner Quellen fehlt. Seine Aussagen erscheinen aufgrund seines Doktortitels trotzdem in einem wissenschaftlichen Gewand.
So hält er auch «Vorlesungen» im gesamten deutschsprachigen Raum. Sein Youtube-Channel verzeichnet 440’000 Abonnent:innen. Das meist gesehene Video auf dieser Plattform hat ebenfalls den vermeintlichen «Putsch» in der Ukraine zum Thema und wurde bereits 1,5 Millionen mal angeschaut.
Der «Putsch» in Kiew steht laut Ganser in direktem Zusammenhang mit dem aktuellen russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Dieser wird durch dieses Narrativ legitimiert.
Der Pandemievertrag
Corona ist drei Jahre nach der weltweiten Pandemie nach wie vor eines der dominierenden Themen in den von Fairmedia untersuchten Telegram-Kanälen.
Der in diesem Zusammenhang am weitesten verbreitete Post ist ein kurzes Video vom Mai 2023 mit über 1,3 Millionen Aufrufen. Darin kritisiert der Schweizer Anwalt Philipp Kruse den sogenannten Pandemievertrag der WHO, über den zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Videos noch verhandelt wurde.
Produziert wurde das Video vom österreichischen Online-Sender «Auf1», der laut dem Recherchenetzwerk «Correctiv» für die Verbreitung von Desinformation und Verschwörungstheorien bekannt ist. Kruse unterstellt der WHO, sie wolle sich durch den Vertrag «noch mehr Macht» und finanzielle Mittel sichern, um eigenmächtig Pandemien auszurufen «und damit verbunden dann das Zepter übernehmen kann», wodurch sie dann «alles durchsetzen» könne, «was ihr in den Sinn kommt».
Kruse ist eine umstrittene Figur, die während der Pandemie Menschen vertrat, die sich gegen die staatlichen Massnahmen wehrten. Auch wenn er nicht der verschwörungstheoretischen Szene zugeordnet werden kann, sind seine Aussagen im Kontext problematisch. Insbesondere, weil sie auf einem einschlägigen Kanal verbreitet werden und mit verschwörungstheoretischen Erzählungen verknüpft sind. Etwa der Behauptung, die WHO strebe die Weltherrschaft an, wie sie in einem Beitrag von «Auf1» verbreitet wird. Dieses widerlegte Narrativ kursiert immer wieder seit der Corona-Pandemie.
Mittlerweile haben sich die WHO-Mitgliedsstaaten im Mai 2025 auf ein Abkommen geeinigt. Ziel des Vertrages ist es, die internationale Zusammenarbeit bei zukünftigen Pandemien zu verbessern.
Ein Faktencheck von «Correctiv» zeigt: Die WHO kann auch im Pandemiefall keine Massnahmen erzwingen, sondern lediglich Empfehlungen abgeben. Die Entscheidung über deren Umsetzung liegt bei den einzelnen Staaten. In der Schweiz könnte über den Pandemievertrag zudem unter Umständen abgestimmt werden.
In einer Stellungnahme gegenüber Fairmedia hält Kruse fest, er spreche ungern von Verschwörungstheorien, sondern lieber von «Thesen». In der WHO beobachte er eine problematische Machtkonzentration. Zudem habe es seit seiner Aussage vor zwei Jahren zwei wesentliche Änderungen im Vertrag gegeben. Damals habe er «Alarm schlagen müssen».
Auffällig ist, dass kritische Narrative über den Pandemievertrag auch von russischen Propagandakanälen verstärkt werden. So schrieb das russische Propagandamedium «RT DE» am 15. Mai 2025: «Es besteht kein Zweifel, dass das Pandemieabkommen in seiner neuen Fassung ein Wolf im ‹Schafspelz›» sei. Zudem stecke die WHO mit dem Weltwirtschaftsforum (WEF) unter einer Decke. Dabei handelt es sich um ein verbreitetes Thema in Verschwörungstheoretischen Kreisen, das auch im nächsten Beispiel aufgegriffen wird.
Călin Georgescu als «Whistleblower»
Ein Video des Alternativmediums «KlaTV» wurde im März 2023 auf Telegram geteilt und über 700’000 Mal angesehen. Es handelt sich um ein ursprünglich amerikanisches Video, das von «KlaTV» übersetzt wurde. Es zeigt Călin Georgescu, der 2024 überraschend 23 Prozent der Stimmen bei der ersten Runde der rumänischen Präsidentschaftswahl erhielt. Die Wahl wurde kurz darauf wegen des Verdachts massiver russischer Einflussnahme annulliert.
Georgescu war bis dahin politisch kaum bekannt. Das oberste Gericht in Rumänien begründete die Annullierung der Wahl mit einem «aggressiven russischen hybriden Angriff». Dabei soll Georgescu «mithilfe koordinierter Konten, Empfehlungsalgorithmen und bezahlter Werbung stark gefördert worden» sein, schreibt «Die Zeit».
Das Video wurde aufgenommen noch bevor Georgescu für das Präsidentenamt in Rumänien kandidierte. Im Video wird er als «Whistleblower» inszeniert, der angeblich eine von dem «WEF-Oligarchen» gesteuerte UNO und WHO entlarvt. Die Aussagen folgen zum Teil typischen vagen und unbelegten Verschwörungsnarrativen. Einige Aussagen sind schlichtweg bizarr: So wird etwa auch behauptet, die Menschen auf den Marshall-Inseln seien ursprünglich 180-200 Jahre alt geworden, ehe dort Atombomben getestet wurden.
Gegenüber Fairmedia verweist «KlaTV» darauf hin, dass Georgescu laut eigenen Angaben 18 Jahre lang bei der UNO gearbeitet habe. Aufgrund seines Einblicks in den Betrieb habe man ihm deshalb eine Plattform geboten. Zudem behandle der Kanal Inhalte, «welche im Mainstream selten oder gar nicht thematisiert werden». Auf die Frage nach russischer Einflussnahme in Rumänien wird auf eine weitere Sendung verwiesen.
Fazit
Die analysierten Fälle zeigen exemplarisch, wie Falschinformationen auf Telegram verbreitet werden: Indem reale gesellschaftliche Themen aufgegriffen, emotional zugespitzt und mit verschwörungsideologischen Narrativen verknüpft werden, entstehen Inhalte mit hoher Reichweite und zum Teil auch politischer Wirkung.
Bei zwei der drei am weitesten verbreiteten Beiträgen handelt es sich nicht um frei erfundene Behauptungen. Vielmehr werden Fakten und legitime gesellschaftliche Debatten aufgegriffen und in einseitiger, verzerrter Weise oder mit weggelassenem Kontext wiedergegeben.
Oft stützen sich die Erzählungen zudem auf vermeintliche Autoritäten – Personen mit Titeln, Reichweite oder politischem Einfluss – und bedienen tiefsitzende Misstrauenshaltungen gegenüber internationalen Institutionen wie der WHO oder der UNO oder gegenüber der westlichen Gesellschaft im Allgemeinen. In vielen Fällen lassen sich strukturelle Parallelen zu bekannten russischen Desinformationsstrategien erkennen. Auch wenn ein direkter Ursprung nicht belegt werden kann.
Ob diese Inhalte direkt von russischer Seite lanciert wurden oder ob bestehende Erzählmuster lediglich aufgenommen und verstärkt werden, um das Vertrauen in westliche Institutionen zu untergraben, lässt sich aber nicht sagen.
(Publiziert am 17.6.2025, Tobias König)