Als die «Weltwoche» Anfang April einen Beitrag wortwörtlich von der russischen Propagandaplattform RT (ehemals «Russia Today») übernahm, sorgte das für breite Empörung. Unsere Recherchen zeigen: Bereits seit einem Jahr greift die «Weltwoche» regelmässig Inhalte von RT auf – nicht im Originalwortlaut, aber in paraphrasierter Form.
Am 3. April veröffentlichte die «Weltwoche» unter dem Titel «Was geschah wirklich in Butscha? Über Fakten und die Widersprüche des Westens» einen Artikel, der direkt von RT übernommen wurde. Der Artikel reproduziert das falsche Narrativ, dass das Massaker an der ukrainischen Zivilbevölkerung in Butscha zu Beginn der russischen Invasion lediglich eine Inszenierung westlicher Medien gewesen sei – mit dem Ziel, den Ruf Russlands zu schädigen.
Diese Darstellung ist nachweislich falsch. Es existieren zahlreiche unabhängige Dokumentationen, unter anderem von der UNO, die das Massaker belegen. Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) hat die Tötungen von 73 Personen (54 Männer, 16 Frauen, zwei Buben und ein Mädchen) dokumentiert und weitere untersucht.
Der Beitrag der «Weltwoche» wurde inzwischen gelöscht, ist aber weiterhin über das Online-Archiv Wayback Machine abrufbar. Auf unsere Nachfrage, warum der Beitrag gelöscht wurde, haben wir bisher keine Antwort erhalten. Journalist:innen von Tamedia, die ebenfalls zu dem Beitrag recherchierten, erhielten auf ihre Anfragen bei der «Weltwoche» lediglich das Statement, der Artikel sei «aus formalen Gründen» entfernt worden».
Systematische Übernahme von RT-Inhalten bei der «Weltwoche Daily»
Es ist nicht das erste Mal, dass die «Weltwoche» Inhalte von RT aufgegriffen hat. Unsere Recherchen zeigen: Seit einem Jahr erscheinen im Online-Format «Weltwoche Daily» Beiträge, die erkennbar auf RT-Inhalte zurückgehen – nicht als direkte Kopien, sondern in paraphrasierter Form. Diese Beiträge wurden ausschliesslich online publiziert und teilweise über soziale Medien verbreitet. Eine Auswertung der Schweizer Mediendatenbank (SMD) zeigt, wie häufig solche Inhalte pro Monat erschienen sind (siehe Grafik).
Zwei Punkte stechen dabei ins Auge: Erstens übernahm die «Weltwoche» bereits im vergangenen Jahr Inhalte von RT, insbesondere zwischen Mai und Juli – also in dem Zeitraum, in dem auch die Bürgenstock-Konferenz stattfand (15.–16. Juni 2024). Die Schweiz hatte 160 diplomatische Delegationen zur Diskussion über Frieden in der Ukraine eingeladen. Davon nahmen 100 Delegationen teil, nicht aber Russland, das gemäss dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) keine formelle Einladung erhielt, weil es wiederholt Desinteresse bekundet habe.
Zweitens, seit Beginn des Jahres 2025 ist ein deutlicher Anstieg solcher Beiträge zu verzeichnen: Im Januar und Februar erschienen jeweils fünf Beiträge, im März waren es sieben. Im April kamen bisher drei weitere hinzu. Die letzten beiden erschienen am 4. April, also einen Tag nach dem umstrittenen Beitrag über das Massaker in Butscha. Seitdem sind von der SMD keine weiteren derartigen Beiträge mehr erfasst worden.
Inhaltlich zielen die Beiträge darauf ab, die Ukraine und ihre Unterstützer in ein schlechtes Licht zu rücken und Russland möglichst als zwar starke aber mässigende Kraft darzustellen. So stand bei zwei Artikeln aus dem Jahr 2024 die Bürgenstock-Konferenz im Fokus – mit dem Ziel, diese zu delegitimieren. In den Beiträgen von diesem Jahr wird dem Westen die Schuld zugeschoben, dass sich der Krieg verlängert, während die Ukraine als schwach und Präsident Selenskyj als korrupt sowie autoritär dargestellt werden. Russland hingegen sei eine starke, wirtschaftlich unabhängige Macht, deren Bemühungen durch westliche Sanktionen nicht beeinträchtigt werden könnten.
Keine direkten Kopien
Anders als beim Artikel über das Massaker in Butscha, der wortwörtlich von RT übernommen wurde, handelt es sich bei den Beiträgen nicht um direkte Kopien. Stattdessen folgen sie einem Muster: Sie sind kürzer als die Originalbeiträge von RT und beziehen sich meistens ausschliesslich auf die russische Propagandaplattform als Quelle. Diese wird in der Regel auch verlinkt. Die RT-Inhalte werden paraphrasiert und in Teilen auch zitiert. Zudem sind die Beiträge der «Weltwoche» nicht gezeichnet.
Eine weitere Beobachtung betrifft die genaue Quelle der Beiträge. Bis und mit Juli 2024 wurden ausschliesslich Inhalte des deutschsprachigen RT-Portals übernommen. Ab November kamen auch übersetzte Artikel der englischsprachigen RT-Seite hinzu. Auch diese sind paraphrasiert und nicht wortwörtlich übernommen.
Warum ist das problematisch?
Die «Weltwoche» reproduziert als Schweizer Medium russische Staatspropaganda in der Schweizer Medienlandschaft und trägt sie damit in den öffentlichen Diskurs hinein. Dabei handelt es sich bei der russischen Propaganda um Teil einer koordinierten Kampagne einer Kriegspartei, die einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt, ihr Image zu verbessern, den Kriegsgegner schlecht zu machen und Unterstützung für diesen zu untergraben (hier veranschaulicht vom deutschen Bundeszentrum für politische Bildung).
RT wird in den Beiträgen der «Weltwoche» meist als «kremlnah» oder ähnlich bezeichnet, dies wird aber der Funktion, die RT in der russischen Propagandamaschinerie hat, nicht gerecht. Zwar erscheinen die übernommenen Beiträge nicht in der Printausgabe, sie werden jedoch im vertrauten Layout der «Weltwoche» online publiziert.
VSM distanziert sich von Desinformation, Weltwoche bleibt stumm
Die «Weltwoche» ist Mitglied des Verbands Schweizer Medien (VSM) und geniesst damit publizistische Legitimität. Da der VSM sich unter anderem gegen «Fake News» einsetzt, haben wir nachgefragt, wie der Verband die Verbreitung russischer Propaganda durch eines seiner Mitglieder mit diesem Engagement vereinen kann.
Andreas Zoller, Leiter Public Affairs, geht auf den konkreten Vorwurf gegen die «Weltwoche» nicht ein, distanziert sich jedoch «deutlich von jeglicher Verbreitung russischer Propaganda» und betont auch das politische Engagement des VSM gegen «Fake News» und Desinformation. Gleichzeitig stellt er klar, dass der VSM nicht für die Einhaltung des Pressekodex durch seine Mitglieder zuständig ist – dies sei Aufgabe des Presserats.
Die «Weltwoche» hat auf unsere Anfragen noch nicht reagiert.
(Publiziert am 16.4.2025, Tobias König)