Herr Eisenegger, Sie erheben seit Jahren die Qualität der Schweizer Medien. Inwiefern gibt es einen Zusammenhang zwischen Finanzierungsformen– staatlich, werbefinanziert, durch Mäzene finanziert – und journalistischer Qualität?
Das ist eine sehr komplexe Frage, denn viele Medien in der Schweiz haben eine Mischfinanzierung, die keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Qualität zulässt. Die SRG zum Beispiel ist nicht nur öffentlich finanziert, sondern auch durch Werbeeinnahmen. Die NZZ finanziert sich durch Abo-Einnahmen, durch Werbung und erhält öffentliche Unterstützung durch die Corona-Nothilfen. Oder Le Temps finanziert sich durch Werbung und Abonnements, wird durch die indirekte Presseförderung unterstützt und von der Stiftung Aventinus getragen, die wiederum von privaten Mäzenen oder einer Stiftung unterstützt wird, die hinter Rolex steht.
Was lässt sich denn grundsätzlich zur Medienqualität sagen?
Wir können in unseren regelmässigen Qualitätsanalysen einfach beobachten, dass in der Schweiz die Informationssendungen des öffentlichen Rundfunks regelhaft zu denjenigen Medien mit der höchsten Qualität gehören. Diejenigen Medien, die sich vor allem über Werbung statt über Abonnements finanzieren, also die Pendler- und Boulevardmedien, bieten eine tiefere Qualität, da scheint sich der kommerzielle Druck niederzuschlagen. Und wir beobachten, dass bei den kleineren Abonnementszeitungen, zum Beispiel in der Suisse romande oder in der Südostschweiz, zum Beispiel der Umfang der redaktionellen Berichterstattung über Volksabstimmungen geringer ist als bei den grösseren Abonnementszeitungen in der Deutschschweiz. Das ist ein Hinweis darauf, dass mit geringeren Ressourcen nicht dasselbe gute Angebot geleistet werden kann.
Inwiefern leistet das Medienpaket einen Beitrag für eine höhere journalistische Qualität?
Ein Journalismus, der eine demokratierelevante, einordnende Berichterstattung von verschiedenen Räumen, international, national, regional und lokal leistet, ist auf Ressourcen angewiesen. Diese Ressourcen haben in letzter Zeit klar abgenommen. Die Werbeeinnahmen sind stark gesunken und die Abo-Einnahmen können diese Verluste nicht kompensieren. Im Online-Bereich haben laut Eigenangaben nur 17 Prozent der Schweizer:innen im letzten Jahr für Online-Nachrichten überhaupt etwas bezahlt. Das Medienpaket ist ein Beitrag dazu, dass dem Journalismus nicht noch weniger Ressourcen zur Verfügung stehen. Diese Ressourcen kommen übrigens nicht nur den verschiedenen Medienorganisationen zugute. Das Medienpaket sieht auch vor, dass die SDA verstärkt unterstützt wird, die eine wichtige Grundinfrastruktur bereitstellt. Viele kleinere Medien könnten ohne das Basisangebot der SDA ihre Berichterstattung über andere Landesteile nicht bestreiten. Und das Medienpaket sieht auch eine Unterstützung des Presserats vor. Auch das ist sehr wichtig, denn der Presserat ist die Institution, mit der sich der Schweizer Journalismus selber reguliert, das heisst darauf schaut, dass der Journalismus Standesregeln einhält.
Gegner:innen des Medienpakets sagen, Medien würden weniger unabhängig, wenn sie vom Bund Geld erhalten. Was lässt sich aus wissenschaftlicher Perspektive dazu sagen?
In der Schweiz ist die öffentliche Medienförderung staatsfern ausgestaltet. Die indirekte Presseförderung gibt es schon seit dem 19. Jahrhundert und wir sehen in den Inhaltsanalysen keine Anzeichen, dass all diese verschiedenen Zeitungen staatsfreundlich berichten würden. Auch die direkte Online-Medienförderung, wie sie das Medienpaket vorschlägt, wird die Unabhängigkeit nicht gefährden. Die Kriterien, welche Medien Geld erhalten, sind sehr allgemein und richten sich nach formellen Kriterien. Zum Beispiel, dass ein Mindestumsatz aus Abonnements beziehungsweise Verkäufen oder Kleinspenden erzielt wird, dass redaktionelle Inhalte und Werbebotschaften getrennt werden oder dass ein leicht auffindbares Impressum vorhanden ist. Solche Vorgaben greifen nicht in die redaktionelle Unabhängigkeit ein. Man könnte sogar zugespitzt formulieren: Die Medien sind dem Publikum verpflichtet und insofern von den Nutzer:innen «abhängig». Denn diese sind es ja auch, die über das Medienpaket an der Urne entscheiden werden. Es ist also unwahrscheinlich, dass die Medien Beisshemmungen gegenüber Behörden entwickeln, denn sie würden dadurch ihren Rückhalt beim Publikum schmälern.
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Die Medien sind seit zwei Jahrzehnten in einer grossen Umbruchphase. Ist da staatliches Unterstützungsgeld überhaupt sinnvoll?
Öffentliche Unterstützung ist nötig, weil zwei zentrale Pfeiler der Medienfinanzierung, die Werbegelder und die Abo-Einnahmen, für viele Medien nicht mehr ausreichen. Die globalen Medienentwicklungen wirken sich hier stark aus. Die Werbeeinnahmen fliessen zu den US-Techplattformen wie Google oder Facebook. Und im Internet herrscht eine Gratiskultur. Dagegen können Medien aus der kleinen Schweiz nur beschränkt etwas tun. Klar, dieser Umbruch in dieser digitalen Transformation dauert schon länger und Schweizer Medienhäuser hätten sicherlich auch schon früher und konsequenter auf digitale Strategien setzen können. Man muss aber auch sehen: Die Medienmenüs der Schweizer:innen sind extrem unterschiedlich. Wenn Medien nicht mehr Zeitungen drucken, dann verlieren sie einen grossen Teil ihrer langjährigen älteren Leser:innen, denn diese wünschen nach wie vor ihre Zeitung. Und wenn Medien umgekehrt nicht auf den verschiedenen Online-Plattformen und Social Media präsent sind, gewinnen sie nicht genügend junge Leute. Sprich: Medien müssen immer mehr Kanäle bespielen und dabei jedem Kanal gerecht werden. Und dies in einer Zeit sinkender Erlöse.
«Die Gefahr besteht, dass Medien mit politisch motivierter Agenda entstehen.»
Gerade ein kleines Mediensystem wie die Schweiz, das wegen seiner Mehrsprachigkeit besonders kleine Medienmärkte hat, ist äusserst verletzlich, denn Medien können hier kaum auf wirklich grosse Reichweiten kommen. Zudem müssen Schweizer Medien gerade in einem föderalistischen Land fortlaufend über verschiedene Ebenen berichten, also über Gemeinden, die Kantone, nationale und internationale Vorgänge. Das ist anspruchsvoll und braucht Ressourcen. Von dem her sind Bemühungen, dem Journalismus diese zur Verfügung zu stellen, sehr sinnvoll.
Nach einem Nein würde der Spardruck bei den Verlagen weiterwachsen, einige kleinere Medien würden in den nächsten Jahren wahrscheinlich eingehen. Sehen Sie eine Gefahr, dass an ihrer Stelle Medien mit politisch motivierter Agenda entstehen würden?
Diese Gefahr besteht. Es wird vielleicht auch vermehrt Stiftungen geben, die Medien unterstützen und die sich gleichzeitig zurückhalten, was eine politische Agenda betrifft. Aber auch Stiftungen haben Eigeninteressen, und reiche Einzelpersonen sowieso.
Würde diese Entwicklung auch eine Zunahme an journalistischen Regelverstössen und unfairem Journalismus befördern?
Davon ist auszugehen. Politisch geprägter Journalismus ist zwar nicht per se problematisch. Wenn Journalismus aus einer weltanschaulichen Perspektive berichtet, aber offen und fair betrieben wird, dann sehe ich keine Probleme. Aber wenn zu einer weltanschaulichen Haltung eine klare politische Agenda kommt, dann wächst die Gefahr, dass das Prinzip der Offenheit und Unvoreingenommenheit verletzt wird.
Mark Eisenegger ist Co-Direktor und Studienprogrammdirektor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. Er leitet zudem das Forschungszentrum für Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög) der Universität Zürich. Das Fög gibt das «Jahrbuch Qualität der Medien» heraus.
(Dieses Interview wurde schriftlich geführt; publiziert am 12.1.2022, Jeremias Schulthess)
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