Eine SRF-Doku über satanistische Verschwörungstheorien sorgt derzeit für Wirbel. Es geht darin um Verschwörungserzählungen zu satanistischem rituellem Missbrauch. Der Beitrag aus dem SRF-Reportageformat «rec» ist emotional aufgemacht und trägt die persönliche Handschrift der Reporter:innen. Soweit so gut.
Nach der Ausstrahlung meldeten sich jedoch mehrere Personen, die in dem Beitrag vorkommen, bei Fairmedia. Alle berichten von unsauberen journalistischen Methoden – sie fühlen sich von den Journalist:innen hinters Licht geführt. Die vielen Meldungen zu dieser Sendung haben uns bewogen, den Fall genauer zu untersuchen und die Ergebnisse mit der Öffentlichkeit zu teilen.
Dafür hat Fairmedia mit insgesamt sechs Personen gesprochen, die entweder im Beitrag vorkommen oder in die Recherche involviert waren. Auch das SRF hat Stellung bezogen zu den Vorwürfen der Betroffenen.
Es geht Fairmedia nicht darum, die Äusserungen der interviewten Personen zu bewerten. Es geht an dieser Stelle nur darum, ob die Personen im Zusammenhang mit dem Beitrag gemäss journalistischer Sorgfaltspflichten fair behandelt wurden oder nicht.
«Der Teufel mitten unter uns»: Darum gings
Der SRF-Journalist erzählt zu Beginn des Beitrags, wie er eine E-Mail erhielt, in der ein Opfer über satanistische rituelle Gewalt berichtete. Weil «die Geschichte so wahnsinnig war, dass ich das nicht glauben konnte», will der Journalist der Sache auf den Grund gehen. Er interviewt Personen, die fast alle mit Betroffenen von ritueller Gewalt zu tun haben. Diese erzählen von abstrusen Geschichte. Einige davon kommentiert der Journalist in Zwischensequenzen: «Das darf doch nicht wahr sein.» Oder: «Eigentlich ist es ein Scheiss, was wir hier machen, das regt mich grad auf.»
Alle Personen scheinen im weitesten Sinn an satanistische rituelle Gewalt zu glauben. Einige sprechen von «grossen Schlachtereien», «Blut trinken» und «Eliten», die solche Rituale im Untergrund durchführen. Andere hingegen äussern sich differenzierter. Für sie scheint es möglich, dass Einzelfälle von satanistischer ritueller Gewalt existieren, jedoch liegt den Schilderungen dieser Personen offensichtlich kein paranoides, verschwörerisches Weltbild zugrunde.
Der Journalist spiegelt die Interviews jeweils mit Experten für Verschwörungstheorien. Diese ordnen ein und erklären, was an den Äusserungen problematisch ist. Zum Schluss konfrontiert der Journalist die Interviewpartner:innen damit, dass ihre Erzählungen offenbar Verschwörungen seien. Die Betroffenen streiten dies ab, womit der Beitrag endet.
Das Narrativ des Beitrags geht kurz gesagt so: Die Journalist:innen hätten der Sache unvoreingenommen auf den Grund gehen wollen und seien immer mehr zum Schluss gekommen, dass es sich bei den Erzählungen um Verschwörungstheorien handelt. Dieses Narrativ bricht in sich zusammen, wenn man sich andere Aussagen von Robin Rehmann anschaut.
Der Journalist gibt in einem Youtube-Livestream, den er nach der Sendung aufnahm, gänzlich ungefiltert die Details und Hintergründe zur Sendung wieder. Dazu muss man wissen, dass Rehmann dieses Format mehrmals pro Woche nutzt, um verschiedenste Themen mit seiner Anhängerschaft zu diskutieren.
Das Ganze läuft unter seinem privaten Youtube- und Twitch-Kanal, ob er als Journalist oder Privatperson spricht, ist in diesem Fall nicht ganz klar.
Damit wir Betroffenen helfen können, sind wir auf Unterstützung angewiesen
So erzählt Rehmann unter anderem, wie er auf das Thema kam. Es habe 2018 begonnen, als er auf einer Veranstaltung war, wo behauptet wurde, es gebe den Satan. «Da habe ich gedacht: Ihr Idioten, das mache ich öffentlich!», so Rehmann.
Er habe aber niemanden gefunden, der die Reportage mit ihm gemacht habe – dazu sei noch die NoBillag-Abstimmung gekommen, während der sich SRF nicht weiter exponieren wollte. Schliesslich habe er seine Kollegin Ilona Stämpfli auf einen solchen Event mitgenommen, so dass sie sehen konnte: «Um Himmelswillen, was läuft dort eigentlich.»
Also hätten sie sich gemeinsam dem Thema angenommen. Als erstes besuchten die beiden das Seminar eines Vereins, der sich für Betroffene von rituellem Missbrauch einsetzt. Dort führten sie verschiedene Interviews mit Personen des Vereins.
Von Satanismus sei nur an einer Stelle ganz kurz die Rede gewesen, sie habe dazu nichts berichten können, erzählt eine Beteiligte.
Eine Person aus dem Verein erklärt gegenüber Fairmedia, dass bei den Aufnahmen nicht alle Vorgaben eingehalten worden seien. Man hätte den Journalist:innen klar gemacht, während des Seminars nicht zu filmen. Sie filmten jedoch weiter – zwei kurze Sequenzen daraus sind im Beitrag zu sehen.
Die SRF-Journalist:innen Stämpfli und Rehmann halten dagegen, man habe die Erlaubnis zu filmen gehabt. Als die Referentin darum gebeten habe, sie nicht zu filmen, hätte man aufgehört.
Auch eine im Film vorkommende Primarlehrerin äussert gegenüber Fairmedia Kritik an den journalistischen Methoden, mit denen die Reporter:innen im Film arbeiten. Sie sollte zum Thema rituelle Gewalt Auskunft geben. Das Interview selbst sei für sie aber zur Farce geworden, wie sie im Nachhinein sagt.
Sie habe eineinhalb Stunden mit dem Journalisten über das Thema rituelle Gewalt gesprochen. Von Satanismus sei nur an einer Stelle ganz kurz die Rede gewesen. Sie habe dabei gesagt, dass sie dazu nichts berichten könne, weil es nicht ihr Thema wäre und sie damit keine Berührungspunkte habe. Im Beitrag, der sich nur um das Thema satanistischer ritueller Missbrauch dreht, wirken ihre Aussagen so, als würde sie jedoch nur über dieses Thema sprechen.
Ein Experte, der ihre Aussagen im Kontext von Satanismus bewertet, bezeichnet sie auch als «Superspreader dieser Verschwörungstheorie» – das, obwohl sie sich laut eigenen Aussagen beim Interview vom Thema Satanismus distanziert habe.
«Wenn ich gewusst hätte, dass es um Satanismus geht, hätte ich niemals mitgemacht.»
Interviewte Person
Die Vermischung von ritueller und satanistischer Gewalt ist das, was für viele Protagonisten im Beitrag – und auch für die Zuschauerinnen – das Hauptproblem darstellt. Für Rehmann ist es dasselbe, wie er in seinem Livestream sagt. Für andere ist es das nicht.
Der unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der deutschen Bundesregierung liefert eine Definition von ritueller Gewalt, die weitaus mehr als satanistische Gewalt einschliesst. Rituelle Gewalt ist laut dieser Definition der Überbegriff, der jegliche Gewalt mit ideologischer Begründung meint, also zum Beispiel von Sekten oder politischen Gruppierungen.
Die SRF-Journalist:innen schreiben uns dazu, die Unschärfe sei ihnen bewusst gewesen. Jedoch sei klar, dass mit ritueller Gewalt, so wie sie in der Reportage von den Protagonist:innen geschildert wurde, «satanistische Rituale» gemeint waren.
Dass jedoch explizit von satanistischer ritueller Gewalt die Rede war, streiten einige Beteiligte entschieden ab. Sie kritisieren, dass ihre Aussagen dekontextualisiert wurden, indem ihre Aussagen zu ritueller Gewalt nur im Kontext der satanistischen rituellen Gewalt gezeigt wurden. Zwei Personen, die im Film auftreten, sagen übereinstimmend gegenüber Fairmedia: «Wenn ich gewusst hätte, dass es um Satanismus geht, hätte ich niemals mitgemacht.»
Der Journalist habe jeweils den naiven Fragesteller gemimt, so schildern es Betroffene. Die E-Mail-Anfragen, die Fairmedia vorliegen, bestätigen dies zum Teil. Rehmann schreibt in einer E-Mail über die Veranstaltung 2018 und das Seminar 2021: «Dieses Erlebnis hat mich tief bewegt.»
In einer anderen Anfrage schreibt er: «Wir waren sehr beeindruckt von dem, was wir [bei dem Seminar 2021; Anm. Fairmedia] gehört und gesehen haben und möchten darüber einen Bericht machen.»
«Wir waren sehr beeindruckt von dem, was wir gehört und gesehen haben und möchten darüber einen Bericht machen.»
Robin Rehman in einer E-Mail-Anfrage
Von satanistischer ritueller Gewalt ist in keiner der E-Mails, die Fairmedia einsehen konnte, die Rede. Auch als eine angefragte Person nachhakt, sie sei «etwas vorsichtig und unruhig» und wolle wissen, was denn die eigentliche «Stossrichtung der Sendung» wäre, schreibt Rehmann nichts von Satanismus oder Verschwörungstheorien.
Er schreibt zur Stossrichtung: «In erster Linie möchten wir auf die Thematik aufmerksam machen, die vielen noch unbekannt ist.» Er beschäftigte sich «seit einiger Zeit mit der Thematik» und finde, man sollte «mehr Licht ins Dunkle bringen».
Eine weitere Protagonistin erklärt, sie habe dem Journalisten nur deshalb ein Interview gegeben, weil sie immer gute Erfahrungen mit dem SRF gemacht habe. Sie habe jahrelange Medienerfahrung, dieses Interview stufe sie jedoch als hochgradig unprofessionell ein.
Der Journalist habe immer wieder das Gleiche gefragt und sich mit seinen Aussagen auch als gläubiger Christ zu erkennen gegeben – um Vertrauen zu schaffen, vermutet sie.
Als das Gespräch vorbei war, habe sie das Interview «auf Platz» zurückgezogen – diese Möglichkeit gibt es für interviewte Personen, wenn sie mit dem Gesprächsverlauf und dem Vorgehen während des Interviews nicht einverstanden sind.
Rehmann sei daraufhin «wütend aus dem Raum gestürmt», so schildert es die Interviewte. Sie ging anschliessend davon aus, dass sich der Journalist an diese Abmachung hält. Umso erstaunter war sie, als sie sich später im Beitrag wiedersah.
«Der Rechtsdienst von SRF hat gerade enorm viel zu tun mit uns.»
Robin Rehmann
Rehmann und Stämpfli schildern die Situation anders. Das Interview sei nicht «auf Platz» zurückgezogen worden. Vielmehr habe die Person die Hoffnung geäussert, nicht zusammen mit dem Verein für Betroffene von rituellem Missbrauch aufzutreten. Der Reporter habe dieses «Missverständnis» geklärt, worauf die interviewte Person dies akzeptiert habe.
Die Frage, ob das Interview «auf Platz» zurückgezogen wurde oder nicht, beschäftigt zurzeit den Rechtsdienst von SRF, mit dem die Protagonistin im Gespräch ist.
Damit ist sie wohl nicht die Einzige, die Schritte gegen SRF eingeleitet hat. Rehmann erklärt in seinem Livestream, der Rechtsdienst von SRF habe gerade «enorm viel zu tun mit uns». Auch bei der Ombudsstelle seien schon Beanstandungen eingegangen.
Wie er mit den Interviewpartner:innen umging, erzählt Rehmann auch in seinem Livestream.
Es sei nicht einfach gewesen, sie zum Sprechen zu bringen. Ihm habe jedoch geholfen, dass er wie «so ein Yogi» aussehe und Ilona Stämpfli sehe auch nicht gerade aus wie ein Sandro Brotz. «Die denken, jetzt erzähle ich da meine Geschichten und dann kommt das gut. Dann mache ich grosse Augen und höre den Geschichten zu. Und sie denken: ‘Ho, ho, ho!’ – aber am Schluss mache ich ‘ho, ho, ho!’»
Einen anderen Protagonist, der nach dem Film von seiner Arbeit freigestellt wurde, äfft Rehmann im Livestream nach und erklärt an seine Adresse: «Du kannst nicht einem Herrn Rehmann irgendeinen Bären aufbinden.»
Ein Freund von Rehmann, der im Livestream zugeschaltet ist, erklärt ebenfalls ungefiltert, was er von den Leuten in der Doku hält. Der Polizist gehöre «auch freigestellt». Und: «Die [Verschwörungstheoretiker; Anm. Fairmedia] muss man einfach wegputzen.» Rehmann lässt diese Aussagen jeweils so stehen.
Mit diesen Aussagen konfrontiert, erklären die SRF-Journalist:innen, diese Aussagen «sind aus Sicht von SRF und auch von Robin Rehmann unangebracht». Das Youtube-Video zum Livestream wurde nach der Anfrage von Fairmedia auf «unlisted» gesetzt. Das heisst, es kann nur noch mit dem Link aufgerufen und nicht über die Suchfunktion gefunden werden.
Unabhängig davon, was Interviewpartner:innen sagen, verdienen auch diese Menschen Respekt und sollten nicht vorgeführt werden.
Fairmedia
Fairmedia findet, dass solche Aussagen im Nachtrag zu einer journalistischen Arbeit, aber auch die Art und Weise, wie der Reporter im Film mit den Protagonisten umgeht, als herablassend gewertet werden können und keinen professionellen Umgang mit Betroffenen darstellen. Unabhängig davon, wie abstrus die Schilderungen von Interviewpartner:innen scheinen, verdienen auch diese Menschen Respekt und sollten nicht vorgeführt werden.
Dass Journalist:innen ihr Interesse etwas zugespitzt formulieren, um an spannende Interviewpartner:innen heranzukommen, kann aus Sicht von Fairmedia in manchen Situationen legitim sein. Wie sich der Journalist bei dieser Recherche verstellt hat, um an möglichst reisserische Aussagen zu kommen, ist aus unserer Sicht hingegen nicht vereinbar mit den journalistischen Grundsätzen bezüglich Transparenz.
Die Leitlinien von SRF, die in manchen Punkten sogar weitergehen als der Pressekodex, fordern beispielsweise im Sinne der Transparenz, dass interviewte Personen in jedem Fall vor dem Interview die Stossrichtung des Beitrags – soweit bekannt – kennen sollten. Das war in diesem Fall nicht so. Obwohl offenbar von Anfang an das Framing der Verschwörungserzählungen klar war, wurden die Interviewpartner:innen erst im Nachhinein damit konfrontiert. Wenn sie von Anfang an gewusst hätten, was die Journalist:innen mit den Aufzeichnungen beabsichtigen, hätten die meisten wohl kaum einem Interview zugestimmt. Dieses Vorgehen war unfair.
Auch die Dekontextualisierung einiger Interviews, muss nach dem Kenntnisstand den Fairmedia hat, als unfair bezeichnet werden.
Nachtrag (25.1.2022)
Fairmedia konnte nach der Publikation der Sendungskritik beim SRF zwei Interviews in voller Länge einsehen – mit der Einwilligung der Betroffenen. Dieses Rohmaterial zeigt, wie die ganzen Gespräche am Stück abgelaufen sind.In den Interview ist von «ritueller Gewalt» die Rede, wobei von beiden Seiten – Journalist:innen und Interviewpartner:innen – nicht klar definiert oder abgegrenzt wird, was sie darunter verstehen. Die Wörter «Satanismus», «Satanisten» oder «satanististisch» kommen in den Interviews, die eine Stunde, respektive etwas mehr als eine Stunde dauern, selten vor (in einem der Interviews an sechs Stellen, im anderen an vier). Das Wort wird fast ausschliesslich vom Reporter verwendet. Die Interviewpartner:innen sprechen jeweils von «rituellem Missbrauch», «dissoziativen Identitätsstörungen», «Missbrauch» im Allgemeinen und «organisierter Kriminalität». An manchen Stellen werden von den Interviewpartner:innen Rituale geschildert, von denen sie gehört haben und die dem Spektrum «Satanismus» zugeordnet werden können.
Dass eines der Interviews «auf Platz» zurückgezogen wurde, lässt sich nicht abschliessend klären. Im Rohmaterial sagt die Interviewpartnerin, sie wolle unter diesen Umständen nicht im Film erscheinen. Die Reporter:innen erklären ihr daraufhin, was sie mit den Interviews genau vorhaben, worauf das Erscheinen des Interviews nicht weiter Thema ist. Dass der Reporter nach einem Interview «wütend aus dem Raum gestürmt» sei, ist auf dem Rohmaterial nicht zu sehen.
Fairmedia hält auch nach Sichtung des Rohmaterials an seiner Darstellung fest.
(Artikel publiziert am 22.12.2021, Jeremias Schulthess)
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Transparenz-Hinweis: Fairmedia berät drei betroffene Personen, die im Beitrag vorkommen. Durch ihre Schilderungen wurde Fairmedia aktiv und hat weitere Betroffene zur Sendung befragt. Daraus ist dieser Text entstanden. Die Betroffenen wurden in Absprache mit ihnen in diesem Text anonymisiert.