Es ist Juni 2005 als Rudolf Elmers Geschichte in der Öffentlichkeit beginnt. Der ehemalige Mitarbeiter der Bank Julius Bär will publik machen, wie die verschwiegene Bank schwerreichen Kunden hilft, ihre Steuern zu hinterziehen – eine Praxis, die bis dato weitgehend unbekannt ist.
Elmers Erkenntnisse werden mithelfen, dass das Schweizer Bankgeheimnis immer stärker unter Druck gerät und später de facto aufgehoben wird. Heute wird Elmer mehrheitlich als ehrenhafter Whistleblower gefeiert, damals war das jedoch ganz anders.
Der damals 49-Jährige Ex-Banker, der für Julius Bär auf den Cayman Islands stationiert war, erlebte hautnah mit, wie Banken die Identität von Superreichen verschleierten, unter anderem um Steuern zu hinterziehen. 2003 wurde er bei der Bank Julius Bär fristlos entlassen, 2005 wagte er den Schritt an die Öffentlichkeit.
Ein Schritt, der ihm nicht leichtfiel, wie er heute sagt. Im Juni 2005 schickte er eine erste CD mit sensiblen Daten an die Redaktion des Wirtschaftsmagazins «Cash» – anonym und ohne Schreiben, so erinnert er sich heute.
In der Zeit danach schaute Elmer regelmässig beim Kiosk vorbei und warf einen Blick auf die jeweils aktuelle Ausgabe von «Cash». Er war überzeugt, seine Enthüllungen würden sofort einschlagen, die Story lande garantiert auf der Frontseite.
Doch Tage vergehen. Als er am 16. Juni 2005 an einem Kiosk steht, sieht er: Jetzt ist es soweit! «Cash» bringt etwas zu seinen Steuerdaten auf der Frontseite. Aufgeregt kauft er das Exemplar und liest es auf dem Heimweg im Regionalzug.
«Im ersten Moment spürte ich eine unglaubliche Ohnmacht», sagt Elmer heute. Denn «Cash» berichtete in jenem Artikel nicht über seine eigentlichen Enthüllungen, welche das System der Steuerhinterziehung offenlegen. Der Artikel drehte sich lediglich um den «Datenklau bei der Bank Julius Bär». Ein «Datendieb» habe Kundendaten weitergegeben – «ausgerechnet [von] Klienten, die erhöhten Diskretionsschutz suchten». Das Wirtschaftsmagazin stellte Elmer in den Dunstkreis von «frustrierten Mitarbeitern, rachsüchtigen Gekündigten und Verlierern im Backoffice».
Damit aber nicht genug: Der Anwalt des Ringier-Verlags, zu dem «Cash» gehört, übergab die Daten-CD persönlich an die Bank Julius Bär. Das belegt ein Dokument von damals, das Fairmedia vorliegt. Dieser Anwalt arbeitet im Übrigen bis heute für Ringier.
Statt zum Whistleblower wurde Elmer bei Ringier zum Kriminellen. Für Julius Bär war rasch klar, von wem die CD kommt. Die Bank reichte Strafanzeige gegen Elmer ein. Dieser wurde wenig später festgenommen und kam in Untersuchungshaft.
Rückblickend sagt Elmer: «Ich habe es zu diesem Zeitpunkt aufgegeben, dass die Daten über die schweizerischen Medien eine Wirkung erzielen.» Auch die «Weltwoche» hatte über den «Datendiebstahl» berichtet und schrieb von einem «Alptraum für die Traditionsbank» ohne auf die eigentlichen Enthüllungen einzugehen.
Der «Weltwoche»-Journalist hatte mit Mitarbeitern der Bank Julius Bär gesprochen und Elmers Namen erfahren. Im Artikel war dann die Rede von «R. E.», der den «Job des stellvertretenden Chefs der Cayman-Filiale» innehatte. Damit war für Insider klar, um wen es sich handelte – und Elmers Ruf in Bankenkreisen endgültig dahin.
Nach 30 Tagen Untersuchungshaft kam Elmer wieder frei, da keine Fluchtgefahr bestand. Fünf Jahre später fand dann der Prozess gegen ihn statt, bei dem er wegen Bankgeheimnisverletzung und Drohung verurteilt wurde.
Sein Ziel, die dubiosen Offshorepraktiken und Steuerhinterziehungen publik zu machen, blieb auch nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft bestehen. 2007 stiess Elmer per Zufall auf die damals noch unbekannte Enthüllungsplattform Wikileaks, wo er seine brisanten Daten nun hochlud. Zuerst blieb er anonym, später legte er seinen Namen offen. Drei Tage vor dem Bezirksgerichtsprozess in Zürich 2011 trat er wieder öffentlich in Erscheinung – an der Seite von Julian Assange in London, um international auf den Bezirksgerichtsprozess in Zürich aufmerksam zu machen. Ein Auftritt, der vielen bis heute in Erinnerung bleibt.
Erst die internationale Presse erkannte das Potenzial von Elmers Enthüllungen. Und als der «Guardian» 2009 einen zweiteiligen Hintergrundbericht über Elmer publizierte, wurde die Tragweite des Themas auch Schweizer Medienschaffenden bewusst. Elmer galt auf einmal als verdienstvoller Whistleblower, aber das ursprüngliche Framing des «Datendiebs» blieb bei einigen Journalist:innen und in der Öffentlichkeit dennoch haften.
So stellte ihn beispielsweise die «Bilanz» 2010 in eine Reihe von «Denunzianten», «Betrüger und Gestrauchelte». «Finews» betitelte ihn 2014 als «Datendieb der ersten Stunde» und die «Weltwoche» schrieb von «Erpresser» und «Verräter».
Dagegen ging Elmer vor, die Bezeichnungen waren ehrverletzend. Das Wort «Dieb» implizierte, dass er die sensiblen Daten stahl. Das tat er jedoch nicht, da er von der Bank autorisiert war, die Daten als Backup täglich nach Hause zu nehmen. Auch ein «Erpresser» war Elmer nicht, da er für seine Informationen nie Geld oder Sonstiges forderte.
Elmer verklagte die «Weltwoche» gleich mehrmals – mit Erfolg. Das Blatt musste drei Urteile zugunsten von Elmer publizieren, worin stand, dass ebendiese Begriffe falsch waren und seine Persönlichkeit verletzten.
Und dennoch: die anfänglich negative Berichterstattung wird Elmer bis heute nicht wirklich los. Er kämpft nach wie vor auf verschiedenen Ebenen um seine Reputation und seine Rechte.
Sein Fall zeigt auf, was geschieht, wenn Medien sich verrennen – sie hatten der Bank mehr Glauben geschenkt als einem Whistleblower. Damit bleibt dieser Fall auch ein unrühmliches Kapitel in der Schweizer Mediengeschichte.
Einmal etwas Falschen gesagt, vom Reporter hereingelegt, oder einfach nur im falschen Moment am falschen Ort – es braucht nicht viel um ein «Medienopfer» zu werden. In der Rubrik «Hinter der Schlagzeile» erzählen wir in loser Folge die Geschichten von Menschen, die von Medien an den Pranger gestellt, vorverurteilt oder schlicht unfair behandelt wurden.
(Publiziert am 6.12.2021, Jeremias Schulthess)
—
Fairmedia hat Rudolf Elmer in einer aktuellen, hier nicht erwähnten Angelegenheit medienrechtlich beraten. Unsere Anlaufstelle steht allen Personen offen, die von Medien unfair behandelt wurden. Die Beratung ist kostenlos.