Entscheiden Journalist:innen bald nur noch anhand von Klicks, ob sie über ein Thema berichten? Und wozu führt das? Diese Fragen diskutierten wir am 8. September 2021 im Zürcher Volkshaus.
Über 80 Personen verfolgten die Diskussion, bei der fünf hochkarätige Gäste auf dem Podium sassen:
- Tsüri-Chefredaktor und -Verleger, Simon Jacoby,
- 20-Minuten-Chefredaktor, Gaudenz Looser,
- FDP-Nationalrätin, Doris Fiala,
- SP-Nationalrat, Jon Pult sowie
- Sarah Genner, Expertin für digitale Medien
Sarah Genner führte die Anwesenden mit einem informativen Vortrag in die Thematik ein. Dabei wurden beispielsweise die Faktoren besprochen, welche eine Nachricht überhaupt erst interessant machen:
- Sie ist neu, selten oder sensationell
- Sie betrifft Prominente, handelt von einem Konflikt, Kriminalität oder ist negativ
- Weniger bekannt dürfte der Faktor sein, dass etwas, das «uns nahe ist» oder eine «Elite-Nation» betrifft, mehr Aufmerksamkeit bekommt, als beispielsweise eine Hungerkatastrophe in Afrika
Genner erläuterte die verschiedenen Kenngrössen, die gemeinhin als «Klicks» bezeichnet werden. Ausserdem stellte sie fest, dass die Privatsphäre erst am Ende des 19. Jahrhunderts in der Publizistik zum Thema geworden ist.
Die nachfolgende Debatte wurde von Catherine Thommen, Fairmedia-Präsidentin und SRF-Journalistin, geleitet. Gaudenz Looser und Simon Jacoby waren sich einig in der Feststellung, dass Klicks in Onlinemedien ein wichtiges Messinstrument für das Publikumsinteresse sind.
Die Reichweitenunterschiede in den Medien sind allerdings beträchtlich wie die Debatte enthüllte. Ein Stadtmagazin wie «Tsüri» kommt auf 70‘000 Unique Clients pro Monat, während eine gesamtschweizerische Publikation wie «20 Minuten» dieselbe Zahl unter Umständen für einen einzigen Artikel innerhalb von ein paar Stunden generieren kann.
Das größte Problem der nahen Zukunft wird die Konkurrenz aus den USA sein und zwar im Onlinewerbemarkt, so waren sich die Diskutanten grösstenteils einig. Drei Viertel der Onlinewerbung in der Schweiz fließt an Facebook und Google – und damit liegt das aktuelle Geschäftsmodell im Sterben. Der schwindende Markt zwingt die Medien regelrecht dazu, das Maximum an Aufmerksamkeit zu generieren – dies erklärt das Clickbaiting und die manchmal reisserisch zugespitzten Schlagzeilen.
Gemäss Jon Pult ist die Berufsgattung der Journalist:innen zunehmend gefährdet. Immer mehr Personen verabschieden sich aus der Branche und wechseln in die nah verwandte PR. Damit schwinde die Medienvielfalt und dies sei besorgniserregend für die Demokratie, so Pult.
In der lebhaften Debatte wurden auch Alternativen diskutiert, was man denn anstelle von reinen Klicks messen könnte. Eine qualitative Erfassung des Nutzungsverhaltens und was die Leser wirklich interessiert, kann gemessen werden – beispielsweise durch inhaltliche Rückmeldungen und hauseigene Fokusgruppen. Die Journalist:innen selber entstammen ganz unterschiedlichen Lebenswelten und bringen diese Erfahrung in die Redaktion ein.
Die ökonomischen Interessen der Aktionäre und Besitzer von Medienhäusern spielen allerdings auch eine wichtige Rolle. Doris Fiala betonte, dass es wichtig sei, dass auch die junge Generation den Einstieg in den Medien finde. Eine allgemein zugängliche Zeitung wie «20 Minuten» habe daher eine wichtige Funktion in unserer Gesellschaft.
Die grossen Player in der Schweiz würden sich selber akut bedroht sehen, erklärte der Chefredaktor von «20 Minuten», Gaudenz Looser. Da sei staatliche Hilfe ein möglicher Weg aus der Krise – so die Hilfe denn nicht zu Abhängigkeiten führe und den Journalismus beeinträchtige.
Am Ende blieb die Erkenntnis, dass viele Medien unter dem finanziellen Druck leiden und mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen einen Weg aus der Krise suchen. Ein mögliches Geschäftsmodell ist die Fokussierung auf Klicks, dieses könne jedoch nicht das einzige sein – sonst droht der Gesellschaft und der Demokratie ein massiver Verlust.
(Publiziert 15.9.2021, Jeremias Schulthess)