
Der Ringier-Chef Marc Walder muss einen flexiblen Umgang mit Widersprüchen pflegen. Was er sagt und was in seinen Medientitel gedruckt wird, geht manchmal weit auseinander – so weit, dass die geneigten Leser*innen zweimal lesen müssen, um es wirklich zu glauben.
Vor einem Jahr erklärte Ringier, der Verlag der den «Blick» herausgibt, was man von politischer Werbung im Bereich Native Advertising hält: gar nichts. Solche Anzeigen, unter Werbeprofis «Native Ads» genannt, kommen als journalistische Inhalte daher. Dahinter steht jedoch ein Werbepartner, der den Leser*innen eine hohe Glaubwürdigkeit vorgaukeln will. Meist steht irgendwo in kleiner Schrift «Sponsored», um die Pflicht der Werbedeklaration zu erfüllen.
Ringier erklärte gegenüber der «Medienwoche» im Wortlaut: «Der ‹Blick› ist politisch unabhängig, politisches Native Advertising entspricht deshalb nicht der Policy der Blick-Gruppe».
So weit, so nachvollziehbar.
Was jetzt kommt, strapaziert die Argumentationsfähigkeit von Ringier-CEO Walder jedoch ins Unermessliche. Denn diese Woche erscheint auf «blick.ch» genau das, was er eigentlich nicht haben wollte: Ein Artikel zur Abstimmung über einen elektronischen Identifizierungsdienst (E-ID), der vorgaukelt, ein journalistischer Text zu sein. Kurzfassung des Artikels: eine echt famose Sache, diese E-ID.
Gekennzeichnet ist der Artikel mit «In Kooperation mit digitalswitzerland». Daraus sollen die Lesenden also schliessen, dass der Text bezahlt ist. Theoretisch.
#NativeAdvertising bringt Geld & beschädigt Medienmarken. Aktuell bei «Blick» & SI: Wer weiss schon, dass «In Kooperation mit»/«Presented by» de facto «Bezahlt von» bedeutet? (Was der #Presserat empfiehlt.) #NativeAds #Ringier
Transparenz: Habe kein Mandat im #eID-Umfeld. pic.twitter.com/gfkX7vkcM3
— Mark Balsiger (@Mark_Balsiger) January 15, 2021
Walder ist zufällig Mitgründer von digitalswitzerland. Davon steht nichts im Text. Wozu auch? Das wäre ja geradezu – transparent.
Fast noch besser als der Widerspruch, in den sich Walder verstrickt, ist jedoch der Versuch, sich daraus herauszureden.
Die Ringier-Mediensprecherin teilt auf Anfrage von Fairmedia mit: Die Aussage von damals sei «zugegebenermassen nicht glücklich gewählt» gewesen. Zum damaligen Zeitpunkt sei Politik kein Thema gewesen für Native Ads – aber grundsätzlich alle Werbeformate, die «kommerziell grosses Potenzial haben».
Anscheinend wurden politische Inhalte erst kürzlich für den «Blick» kommerziell interessant, ausgerechnet dann, wenn es um einen Werbepartner geht, den der Verlags-Chef sehr gut kennt. So die verquere Argumentation von Ringier. Eine andere Interpretation wäre: Walder hat als digitalswitzerland-Gründer einfach ein Machtwort gesprochen.
Wenn man die Aussage der Sprecherin weiterdenkt, könnte es dann sein, dass der «Blick» in Zukunft auch politische Werbung in Kooperation mit economiesuisse oder der Unia schaltet?
Die überraschende Antwort der Mediensprecherin lautet: Ja. Aber es sei eine «Fall-zu-Fall-Entscheidung, die im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und entlang der etablierten Standards sowie im Einklang mit unseren Insertionsbedingungen getroffen wird».
Mit «entlang der etablierten Standards» meint die Sprecherin übrigens nicht die Einhaltung der presserechtlichen Richtlinien. Davon hat sich der «Blick» längst verabschiedet.
2018 publizierte das Medium eine Native Ad zum Thema Rauchen. Alles nicht so schlimm, dieser Tabakdampf der neuen E-Zigaretten, so der die Aussage des Artikels. Oben stand: «In Kooperation mit IQOS» – der E-Zigaretten-Hersteller.
Ein Arzt reichte eine Beschwerde beim Presserat ein, der Artikel verstosse gegen den Journalistenkodex. Dieser besagt, dass redaktionelle Inhalte und Werbung klar getrennt und Werbung klar als solche erkannt werden muss.
Der Presserat hiess die Beschwerde teilweise gut. Der Hinweis «In Kooperation mit …» reiche nicht aus, damit klar ist, dass es sich um Werbung handelt. Die Aufmachung des Artikel unterscheide sich von den redaktionellen Inhalten aber so, dass die Leser*innen auf Werbung schliessen könnten.
Bei der Schleichwerbung zur E-ID-Abstimmung hat sich der «Blick» jedoch viel Mühe gegeben, die Herkunft des Artikels zu verschleiern. Der Artikel ist nicht zu unterscheiden von anderen «Blick»-Artikeln.
Nach Protesten auf sozialen Medien hat die Redaktion reagiert und eine Erklärbox eingefügt – immerhin. Nun steht ganz unten versteckt, dass es sich um «bezahlten Inhalt» handle.
Ob das reicht?
Eine Allianz, die die E-ID bekämpft, will genau das wissen: Reicht es, nachträglich einen Hinweis ganz unten im Text zu publizieren? 1850 Menschen unterstützen eine Beschwerde an den Presserat. Noch nie haben so viele Unterstützer gemeinsam eine Beschwerde eingereicht!
Politische Schleichwerbung jetzt stoppen! Ohne unabhängigen Journalismus, gibt es keine faire Meinungsbildung und keine funktionierende direkte Demokratie. Um unsere Beschwerde an den Presserat breit abzustützen suchen wir 1’000 Bürgerinnen. Dabei? https://t.co/cDVpZST7FH #eID pic.twitter.com/vIOrVUtqsD
— E-ID Referendum (@e_id_referendum) January 17, 2021
Sie alle sind der Meinung: Das war ein Schritt zu weit! Unsere Demokratie verträgt keine versteckte Abstimmungswerbung in den grössten Schweizer Medientiteln!
Vielleicht ist der Druck dieses Mal genug gross, dass sich der «Blick» bei der nächsten Schleichwerbe-Versuchung zurückhält. Oder wer weiss, vielleicht erinnert sich Walder ja irgendwann wieder an seine eigene Policy. Es wäre zu wünschen für fairen Journalismus.
(Jeremias Schulthess, publiziert am 20.1.2021)