Wohl kein*e andere*r Journalist*in erhält so viel Post vom Schweizer Presserat: Elf Beschwerden wurden seit 2013 gegen den BaZ-Journalisten Daniel Wahl eingereicht, sechs davon haben die medienethischen Standards verletzt. Hinzu kommen etliche juristische Verfahren, denen sich Wahl immer wieder ausgesetzt sieht. Aktuelles Beispiel: Der Kantons Basel-Stadt geht bis vor Bundesgericht, um gegen einen Wahl-Artikel zu klagen.
Mitte Dezember erhielt er gleich zwei Rügen vom Presserat an einem Tag – wahrscheinlich ein unrühmlicher Rekord unter Journalist*innen.
Viele Medienschaffende kommen in ihrer journalistischen Laufbahn einmal in Kontakt mit dem Presserat – wer viel austeilt, liegt auch mal daneben. Die Häufung der Presseratsbeschwerden bei Wahl übertrifft jedoch das Mass des Üblichen deutlich.
Der letzte Entscheid gegen ihn ist besonders krass. In einem Online-Artikel zu einem Missbrauchsfall veröffentlicht der Journalist Tonaufnahmen eines 8-jährigen Mädchens, das einer Psychologin erklärt, der Vater wolle ihr «das Schnäbi innestecke».
Der Presserat kommt zum Schluss, hierbei handle es sich um einen «krassen Verstoss gegen die Prinzipien journalistischer Ethik». Kinder sind laut Presserat besonders schützenswert. Die Veröffentlichung der Tonaufnahmen verletzt die Privatsphäre der 8-Jährigen deshalb besonders.
Trotz des klaren Urteils hat die BaZ nicht reagiert: Die Tonaufnahme ist immer noch online zu hören. Auch den Entscheid hat die BaZ noch nicht publiziert (Stand 22.12.2020), wie es der Presserat von gerügten Medien eigentlich fordert.
Dabei schreibt die Medienstelle von Tamedia, der Entscheid werde «wie üblich» publiziert. Ob die BaZ für die Publikation zwei Wochen oder Monate braucht, ist nicht zu erfahren. Bei der letzten Rüge im Januar 2020 liess die Zeitung über zwei Wochen verstreichen zwischen Publikation des Presserats und Publikation im Blatt.
Und der Autor Wahl? Ist er für das Zürcher Verlagshaus, zu dem die BaZ seit bald drei Jahren gehört, noch tragbar? Die BaZ bestimme ihre Autoren selbst und sei auch in der Berichterstattung autonom, so die Tamedia-Sprecherin.
Warum schaut die BaZ denn nicht genauer hin? Schliesslich ist Wahl bei der BaZ nicht irgendwer, er ist Chefreporter.
BaZ-intern ist zu hören, Wahl sorge eben nicht nur für journalistische Verfehlungen, sondern auch für ganz grosse Geschichten. Da ist zum Beispiel die Geschichte über den Fall «Märkli», ein 8-jähriger Bub, der wegen Spielgeld in Polizeiermittlungen geriet. Die Geschichte schaffte es bis in die «New York Times».
Lässt ihn die BaZ einfach gewähren, weil er immer wieder für viele Klicks sorgt? Man äussere sich nicht zu Internas, so die offizielle Antwort von Tamedia.
Auffällig ist, dass sich Wahl häufig mit der Kesb beschäftigt. Wo andere Journalist*innen zurückhaltend reagieren und sich fragen, «ist das wirklich die ganze Geschichte, die mir diese*r Betroffene erzählt?», haut der BaZ-Journalist gleich reihenweise Artikel raus und schert sich dabei wenig um Ausgewogenheit.
Sein Artikel über den Missbrauch einer 8-Jährigen wurde auch gleich von «20 Minuten» und «Blick» aufgegriffen. Das kommt bei den Redaktionsleitern sicherlich gut an. Die BaZ ist Gesprächsthema und wird von anderen Medien zitiert. Die Presseratsentscheide kann man ja hinterher in einer Kurzmeldung im Print abdrucken – wenn überhaupt.
Wahl sieht sich indes selbst als Opfer der Behörden. Zu dem Vorwurf, er missachte häufig journalistische Standards, schreibt er, es brauche in der heutigen Zeit «für einen Rechercheur, der die Machtstrukturen der Behörden aufdeckt, kein Dazutun mehr, um sich zu exponieren.»
Und er macht bei seinem Lieblingsthema Kesb-Bashing gleich weiter. In der Montagsausgabe der BaZ schreibt er einen Folgeartikel über einen umstrittenen Kesb-Gutachter und greift dabei auf die Recherchen eines früheren Artikels zurück, der bereits vor einem Jahr vom Presserat gerügt wurde – offenbar interessiert das am Aeschenplatz keinen.
(Jeremias Schulthess, publiziert am 22.12.2020)